Circulum Felicidia #Gibrantiago

Achtuhrperversrüh. Als ich diese seltsamen Maschinen, die wie ein Düsentriebwerk aussehen und hinter Schmalspurschleppern durch die Obstplantagen gezogen werden, um weitläufig Gift auf die Bäume zu sprühen zum erstenmal beschrieben habe und sie – wegen ihres Aussehens – mit Flugzeugdüsen verglich, konnte ich ja nicht ahnen, dass sie auch so klingen. Insbesondere, wenn sie direkt neben dem Europennerzelt eingesetzt werden. Was für ein Gejaule. Das Nachtlager ist eigentlich in allerbester Lage unweit des Dorfes Granja, dort wo der Rio Segre mit einem anderen Fluss zusammenkommt, in einem brachliegenden Grundstück mit jahrelang ungepflegten Obstbäumen. Auch ein Orangenbaum steht direkt neben dem Zelt. Das Gras ist nicht zu hoch und ganz wichtig: durch den wilden Bewuchs ist der Platz gut geschützt gegen Wind und Blicke. Nun heult die Giftdüse. Kann ich nicht eiiinmal einen Rundum-glücklich-Tag erleben?

Okay, wach war ich ohnehin, aber ich hätte gerne noch ein bisschen im Zelt gebummelt, geschrieben, Datensicherung, und ach, das Postkartenprojekt. Aber bei dem Lärm breche ich ungefrühstückt auf.

Und bin wieder einmal überrascht, wie plötzlich sich die Gegend ändert. Aus dem hässlichen Obst-Flachland um Lleida wächst ein gemütliches Flusstal. Die Straße ist kaum befahren. Der Teer ist glatt. Man kann nicht darauf setzen, dass geteerte Straßen in Spanien sich auch gut fahren. Manchmal hat man Huckelpisten unter den Reifen, da ist ein sandiger Waldweg um Klassen besser.

Nach einer knappen Stunde steuere ich auf Menquinenza zu, wo ich, das Wort Frühstück auf spanisch mantrisch vor mich hinmurmelnd, Desajuno, Desajuno, Desajuno, mir ein kleines Restaurant am Fluss, abseits der Straße vorstelle, in dem hoffentlich nicht der normalerweise übliche Fernseher läuft und ich gemütlich frühstücken kann. Tostados wären gut, viel Kaffee, vielleicht ein Ei. Nichtraucher.

Angler sitzen alle paar Meter am Fluss. Ein Wohnmobil mit Neunkircher Kennzeichen kommt mir entgegen. Da ein Campingplatz. Knittels. Klingt nicht gerade spanisch. Davor eine Tafel, auf der geschrieben steht Frühstück bis 10:30. Auf Deutsch. Gibt’s  doch garnicht. Ich betrete das Restaurant und die Besitzerin begrüßt mich mit akzentfreiem Guten Morgen. Sieht man mir das an? Auch die beiden Frühstücksgäste an einem der Tische sprechen deutsch. Heute ist erster April. Da stimmt doch was nicht. Wo ist die versteckte Kamera?

Ich frühstücke. Ausgiebig, wie man so schön sagt. Plötzlich, eine Touristengegend. Dies sei ein Anglerparadies, sagt die Besitzerin. Der Ebro staut sich bis hier herauf und einige Flüsse, die hier zusammenkommen bilden einen weitverzweigten, fischreichen See. Ihr Mann ist Angelguide. Sie sind vor vier Jahren hierher ausgewandert.

Nach einem kurzen Stück Nationalstraße, das kaum befahren ist und den üblichen breiten Seitenstreifen hat, kurbele ich über die A-1411 dreiundvierzig Kilometer weit bis nach Maella und von dort über die A-1412 weiter Richtung Süden, mit dem Ziel, meine zweite, in die Tour eingeplante Via Verde, den Bahntrassenradweg im Val Zafhan zu erreichen. Beide Straßen sind kaum befahren, genauso, wie es in meinem Rundumglücklichplan aussieht, und sie führen durch eine wunderbare Gegend, natürlich wild, durchzogen von Obstplantagen. Also nicht ganz so streng privatbesessen und vernagelt wie die intensiv verschandelte Gegend um Lleida. Zweimal stoppen in der unwegsamen Gegend Autos und die Fahrer fragen, ob es mir gut geht. Fotografisch und denkerisch habe ich einen guten Lauf, arbeite an zwei Projekten, für die ich Bildmaterial sammele. Zum einen ist ja stets mein künstlerisches Alter Ego, Heiko Moorlander, im Gepäck, der Mudartist, der Schlammwühler, der mit seiner Kunst, Spuren per Traktoren und LKWs in der Erde zu hinterlassen, Millionen scheffelt, der alles hat, was ich nicht habe. 

Außerdem gibt es jede Menge verrottete Schilder am Wegesrand. Damit könnte man ein tolles Schilderbuch machen. Ich fotografiere sie einfach mal.

Siebzehn Uhr erreiche ich Maella. Siebzehn Uhr ist eine wichtige Zeit in Spanien. Dann ist die Siesta vorbei und die Geschäfte machen auf. In einem Supermarkt, die hierzulande kleine, dunkle, verwinkelte Etwasse mitten in der Stadt sind, kaufe ich ein paar Lebensmittel, fasse am Brunnen auf dem Marktplatz Wasser und fahre weiter weiter weiter. Die Via Verde ist schon in greifbarer Nähe, ich fotografiere Kunststraßenkilometer 2360, da sticht mir dieses Pinienwäldchen links der Straße neben dem ausgetrockneten Flussbett ins Auge. Leise säuselt einen Kilometer entfernt die Nationalstraße, die ich für drei Kilometer benutzen muss, um zur Via Verde zu kommen.

Warum nicht hierbleiben? In meiner Rundumglücklich-Allmachtsphantasie kommt ja auch dieses Pinienwäldchen vor, duftend, schützend, weich, in dem das Zelt so wunderbar aufzubauen wäre …

Nun, da ich dies schreibe, frage ich mich, worin das Geheimnis liegt, dass mir immer wieder die Dinge so passieren, wie ich es gerade benötige. Habe ich einen scheinbar nicht reparierbaren Schaden am Radel, treffe ich auf den besten Fahrradmonteur zwischen Andorra und Lleida und der zaubert auch noch ein Ersatzteil aus dem Hut, auf das andere Radler wochenlang warten müssen. Droht das Gemüt an Widrigkeiten zu brechen und es sollte ein Rundumglücklichtag her, zieht der große Weltenmagier ein schneeweißes Rundumglücklichkaninchen aus dem Hut … was heißt eigentlich rundum glücklich auf spanisch?

5 Gedanken zu „Circulum Felicidia #Gibrantiago“

  1. Perfectamente feliz.

    Ich freu mich mit. Und hoffe, das Glück bleibe dir hold.

    Danke für deinen feinen Text, der mich deine Reise fast hautnah miterleben lässt.

  2. Klingt nach casi perfecta felicidad

    Spanien. Ein Land, von dem ich nur eine vage, eine sehr vage Vorstellung habe (westernpassend, foliengewächshausverschandelt). Und das ich auch nicht als Ziel einer Sehnsucht mir vorstellen kann — es ist eher Zufall, daß es sich um eines meiner Lebensziele herum erstreckt.

    Und dann lese ich Deine Texte, die knappen Beschreibungen. Schlaglichter auf etwas unendlich Fernes, die mir das Land Spanien sowohl lieblichliebenswert als auch unschönabschreckend in den Kopf projizieren. Ach, Du fernnaher Verlocker: Danke.

  3. Ich freue mich mit dir … ich glaube, dass dein Glück, dein weisses Kaninchen, deine Engel vor allen Dingen etwas mit dir selbst zu tun haben. Deiner Offenheit die Dinge und Leute zu nehmen, wie sie sind, auf irgendlinksche Art freundlich, vertrauenswürdig und schelmisch. Und dann gibt es noch immer irgendwas, das mitspielt, nu frag mich aber bitte nicht was! Ich lache und winke dir zu
    Ulli

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