Eine Sinfonie freitagabendlicher Fußballlokalmatadore #Gibrantiago

„Was ist das für ein kleine Licht in die Wald“, übersetzt der Mann, nachdem ich ihm schulterzuckend sage, dass ich nicht so gut französisch spreche (und gedanklich hinzufüge, nicht gleich am ersten Tag, ich bin ein bisschen raus aus der Sprache). Gerade eben habe ich das schwer bepackte Europennerrad einen Waldweg hinaufgeschoben, der vom schön geteerten Radweg auf dem Plateau Grünholz abzweigte. In Richtung Flutlicht. Und nun stehe ich hier neben dem Sportplatz von Lemberg, einer kleinen Stadt in Lothringen. Das Freitagabendstraining ist im vollen Gange. Ob er eine gute Zeltplatzmöglichkeit wisse, frage ich den Mann. Wie es wohl da hinter dem Sportplatz aussieht, ob man da zelten könne. Das sei ein schöner Platz, sagt er. Keine Anstalten, zu fragen, was, bei der Kälte willst du zelten? Er nimmt es einfach so hin, dass da „eine petite Lumière aus la foret“ kommt und nach einer Zeltplatzmöglichkeit fragt. Sicher hätte ich in Lemberg auch ein Zimmerchen auftreiben können. Ich hätte nur in die Bar im Zentrum gehen müssen und mich dort durchfragen. Das hatte ein Junge empfohlen, den ich vorhin nach Zeltmöglichkeiten und Chambres d’hôtes, Gästeszimmern, gefragt hatte. Aber da hatte ich wohl insgeheim schon beschlossen, dass ich mir den Sportplatz einmal näher anschaue. Sportplätze sind immer gute Wildzeltkandidaten. Es mag gegen zwanzig Uhr gehen. Das Training ist in vollem Gange. Dank des Flutlichts, das gespenstisch den Wald erhellt, finde ich einen guten Platz, weich belaubt, scharre die Äste weg, stelle das Zelt auf. Derweil böllern die Bälle, gleich mehrere, und der Trainer lässt seine Trillerpfeife jaulen. Was für ein Konzert. Eine Sinfonie freitagabendlicher Fußballlokalmatadore. Die Bälle scheppern an den Zaun, man hört die Jungs, wie sie sich gegenseitig etwas zurufen und zuguterletzt gibt es ein stakkatoähnliches Stop and Go-Training – ich weiß nicht, wie man das nennt – der Trainer ruft in kurzen Abständen immer wieder Stop und zwischendurch hört man das Scharren bestollter Schuhe auf dem Ascheplatz.

Um halb neun geht dann das Licht aus. Stockdunkel plötzlich im Zelt. Ich koche Nudeln und eine Gemüsesoße auf dem Trangia. Der erste Tourtag hätte wohl besser kaum laufen können. Sogar bei der Abreise, beim Abschied von meinen Eltern und all den anderen Hofbewohnern, hatte ich ein glückliches So-ist-es-gut-Gefühl, das ich beim Start ans Nordkap im letzten Sommer nicht hatte. Ich durchquere Zweibrücken wahrhaft gordonknotesk, da sich der Radweg wie ein Verkehrsweg gewordener Gordischer Knoten unter zahlreichen Brücken hindurchwindet und Schlaufen einlegt, die sich nie und nimmer ein normaler Verkehrsplaner ausgedacht haben kann. Aber dann, jenseits der Stadt geht es den Bächen folgend hinüber nach Frankreich und ich lande schließlich auf dem neuen Radweg Pirmasens-Bitche. Nachdem ich kürzlich schon einen Teil in Richtung Pirmasens erkundet hatte, ist nun das Reststück ins lothringische Kleinstädtchen Bitche dran. Ein Sahnestückchen, das sich an idyllischem Bach vorbei an Mühlen ins Festungsstädtchen schlängelt. Kein einziges Mal muss man auf der Straße radeln und der Anblick der wuchtigen Festung, die bestimmt fünfhundert Meter lang ist oder gar einen Kilometer, hoch über den Häusern und ganz oben auf dem Steinklotz throhnt eine Kapelle, dieser Anblick ist ebenso erschreckend wie faszinierend. Sicher kann man die Festung auf Google Earth erkunden.

Viertel vor sechs ackere ich ein kleines Sträßchen hinaus Richtung Lemberg, wo ich, das war da noch der Plan, mir ein Zimmer nehmen werde. Das Sträßchen folgt einer stillgelegten Bahnlinie, überquert sie mehrfach, plötzlich wird es still. Kein Verkehrslärm mehr und nach fünfzig Kilometern auf dem Sattel dunkelt es. Ein eigenartiges Bild habe ich plötzlich im Gepäck, das ich vor eben noch drei vier Stunden in Zweibrücken sah: tausende Herzchen, kuhaugengroße Papierschnipsel auf dem Zweibrücker Herzogplatz, barocke Rathauskulisse, Standesamt, jemand hat geheiratet, ein bärtiger Typ im Gothic-Mantel überquert den Platz, an einer Ecke wird gebaut, die Szene vermittelt ein trügerisches Alles-ist-in-Ordnung-Gefühl. Streiche trügerisch. Alles ist in Ordnung an diesem ersten Reisetag.

8 Gedanken zu „Eine Sinfonie freitagabendlicher Fußballlokalmatadore #Gibrantiago“

  1. Ja, so fühlt man sich also, so gut, so passend, wieder unterwegs zu sein.
    Du dich, ich mich, wir uns – auf deinem Gepäckträger mitradelnd.
    Gute Weiterfahrt.

  2. Das klingt nach einem wahrlich guten ersten Reisetag! (Wie hätte es auch anders sein können an diesem gestrigen allgemeinen Aufbruchs-Tag:))
    Ich bin ein bisschen neidisch auf das Radfahren und schwenke im Kopf mal kurz in meine diesjährigen Unterwegs-Zeiten.

    1. Liebe Frau Rebis, bitte nicht neidisch sein. Aber ich weiß ja, wie das in den Fingern juckt. Es ist vielleicht der Normalzustand von ReiseradlerInnen im Stillstand?

  3. Ein wunderbarer Start, ich freue mich für dich, auch dass das Wetter so herrlich ist und du gleich einen Schlafplatz gefunden hast … möge es so weiter gehen …
    liebgrüss

  4. Hallo Jürgen,
    so viele und schöne Radwege: ich beneide Dich. Das brauchen wir hier auch, in Amerika und ganz besonders in Texas. Wir sind leider viel zu sehr ein auf’s Auto ausgerichtetes Land. Aber wenigstens habe ich hier vor der Haustüre Meilen und Meilen [wie Asleep on the Wheel singen, „Miles and Miles of Texas“] von kleinen, wenig befahrenen asphaltierten Landsträßchen.
    Weiterhin „safe bicycling“,
    Pit

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