Noch immer klebt die Erinnerung an dem kleinen grünen Boot auf fahlgrauer See. Zwischen zwei Häusern in Vinarós blitzte es für eine Pedalumdrehung und korrespondierte mit dem Dunkelgrün zur Rechten, eine Melange aus Oliven- und Orangenbäumen, denen sich ein bisschen Ocker von der allseits vorhandenen körnigen, kieseldurchsetzten Erde beimischte. Nachdem man das pottebene Ebroschwemmland verlassen hat, findet man sich eingekeilt zwischen Bergen und Meer wieder, besser gesagt eingekeilt zwischen Bauwerken jeglicher Art. Ein Zementwerk unterbricht jegliche kleinere Straße. Mit Förderbändern hat es zwischen dem Berg, den es abbaut, und dem Meer auf hunderten von Metern alle Verkehrswege abgeschnitten, ausgenommen der Bahnlinie und der N-340, auf der zig Laster und Autokolonnen dahinbrausen. Für zwei, drei Kilometer kurbele ich auf dem Seitenstreifen, relativ sicher zwar, aber schönes Radeln ist das nicht. Kurz vor Vinarós kann ich wieder auf die kleinen Ackerwege ausweichen, die meist geteert sind und ein gutes Vorankommen ermöglichen. Ein Passant erklärt mir, dass ich ein weiteres Stück N-340 sparen kann, wenn ich den Strandweg nehme, auf dem auch der Wanderweg Nummer 8 verläuft, dem die Radroute öfter folgt. Ich müsse nur einen Fluss durchwaten. Knöcheltief sei er und er zeigt es mir an seinem Bein, oder ich soll die Zapatos, die Schuhe, einfach ausziehen, doch das ist gar nicht nötig, stelle ich am Fluss fest. Er ist fast versiegt. Es genügt ein großer Schritt und ich bin drüben, wo das Radel aber eine Treppe hinauf gewuchtet werden muss, um auf holpriger Piste die letzten paar Kilometer bis Vinarós zu meistern.
Ab dort ist die Küste via Benicarló bis nach Peñiscola vollständig zugebaut. Ein Hotel am anderen, Appartementsiedlungen, genannt Urbanization, Zerfall und Bewuchs in Tateinheit. Vieles ist zu verkaufen. Campingplätze verwildern, nur wenige haben sich gehalten. Ein Alabasterladen, für immer geschlossen, ein verwahrlostes Grundstück mit einem Schild ‚Se Vende‘, zu verkaufen, der Camping Castro neben dem Camping Mare Nostrum neben Mülltonnen, neben Schutthaufen, dazwischen ein bisschen urwüchsige Natur, dicht gefolgt von gepflegten Orangenhainen, und immer wieder Urbanization soundso, alarmgesichert, mit automatischen Eisentoren, die den gesamten Ferienkomplex abriegeln.
Hinter Peñiscola ist dann plötzlich Schluss mit Zivilisation, mit Menschenplage. Nur noch ein, zwei Urbanizationen stehen wie eingemeißelt in der Urwüchsigkeit des Naturparcs der Sierra Irta. ‚Zelten verboten‘-Schilder stehen am Eingang zu einer fünfzehn Kilometer langen Bergstraße, die so holprig und steil ist, dass ich ab und zu schieben muss, gut anderthalb Stunden brauche bis zur nächsten Stadt. Zelten wäre in dem unwegsamen Gelände ohnehin kaum möglich. Vielleicht verdankt der Naturpark seine Existenz einzig und alleine dem Platzen der Immobilienblase, frage ich mich. Oder es liegt daran, dass es auf dem Küstenstück nur drei winzige, etwa 100 Meter breite Sandbuchten gibt. Wer weiß.
Außerhalb des Städtchens Alcossebre meide ich den Fun-Campingplatz, obwohl auf großen Schildern immer wieder steht, dass Wildzelten auf dem ganzen Stadtgebiet verboten ist. Der Camping schien mir laut und hektisch und zu durchorganisiert, als dass ich mich dort wohl gefühlt hätte, so ackere ich im Nieselregen weiter die Küste entlang und überlege, was das ist mit den Menschengesetzen, in wie weit man sie hinterfragen muss, sie gar missachten, zwei, drei Wohnmobile parken direkt am Strand, es ist anzunehmen, dass die Leute dort die Nacht verbringen, obwohl es verboten ist, und so wittere ich eine Art Eigennutz, auch das darf man bei aller Gutgemeintheit von Gesetzen nicht übersehen; oft werden sie von Interessengemeinschaften gemacht, um die Welt in die Bahnen zu lenken, die ihnen zum Wohle dienen. Vebiete Wildzelten und zwinge die Leute auf deine Campings, knechte sie in deinen Hotels, mäste sie in deinen Restaurants. Ich weiß, das ist übertrieben und gesehen auf die Hochsaison wäre Camingwildwuchs definitiv eine Katastrophe.
Vorbei an einer Disco namens Túnel, die direkt am Strand liegt, an einer gottverlassenen abgeschiedenen Straße, und ich mich frage, wie es wohl hier im Sommer zugeht, Disco und Party am Strand, wo parken all die Leute, das Kaff besteht nur aus zwei, drei Häusern und einer Eremitage, so kurbele ich daran vorbei und nach ein, zwei Kilometern durch eine erstaunlich verlassene Gegend mit verkommenen Orangen- und Olivenplantagen finde ich in einem Feldweg einen guten Platz direkt neben einem uralten Olivenbaum. Frau SoSo hatte gestern das Bild nebst Fahrrad in den Tagesnews gezeigt.
Nun sitze ich auf der Konzertbühne in einem Park bei Oropesa, wo kilometerweit der Strand zugebaut ist. Bei einem der zehnstöckigen Gebäude habe ich einmal die Appartementszahl auf 200 geschätzt mal vier Personen mal dreißig von den Dingern und im Wochenrhythmus wechselt die Belegung, wie viele Menschen werden in dieser modernen Mastanstalt wohl pro Saison durchgeschleust?
Ich glaube, hier in der Gegend stand die Bauruine, in der ich mit meinen Reisegefährten Krüger und Leb zwei Tage Sturm abgewartet hatte. Das Land war leer, nun stehen hier fünf Kilometer weit die Hotels. Es ist viel geschehen in den letzten 25 Jahren. Mir drängt sich mehr und mehr der Gedanke auf, dass wir Menschen eine Plage sind für das System Erde.
Es gab doch mal so ein Plakat mit einer traurigen Erdkugel, auf dem stand: die Erde hat Mensch … ja, was für eine Plage. Aber was nun? Du, ich, wir sind auch Menschen. Sicherlich bemühen wir uns nicht zur Plage zu werden und die Achtsamkeit, aber … schaue ich nur einmal in meinen gelben Sack- konsequent ist anders!
Ich kenne diese Art von zugebauter Mittelmeerküste nur aus Frankreich und bin dort schon 1987 geflohen oder war es 86- egal …
Ich denke oft, wenn es wieder mehr junge und mittelalte Menschen mit viel Kraft, Energie und Lust gäbe die heruntergekommenen Haine zu pflegen, zu ernten und … dann gäbe es zum einen weniger Arbeitslose, und vielleicht eine Erde, die wieder zaghaft begänne zu lächeln und mehr glückliche Menschen. Aber alle wollen ja in die Städte, wollen Nachtleben und fun. Ja, die Erde hat Mensch und der ist verwirrt, verirrt sich in den Gelüsten und seiner Selbstsucht (nicht, dass ich gänzlich frei davon wäre!)
Lieber Jürgen, ich wünsche dir heute einen sonnigen Tag und SCHÖNE Radelwege …
herzlichst Ulli
Ach, so ähnlich wollte ich auch kommentieren.
Ja, auch von mir allerbeste Radelwegwünsche.