Den Januar habe ich mit Nichtstun verbracht. Ich saß vorm Holzofen in der Künstlerbude, legte die Füße hoch und starrte an die frisch gestrichene Wand. Manchmal las ich ein Buch. Oft spielte ich mit dem Smartphone, auf dem ich kommunizierte per Mail oder per Twitter. Täglich schaute ich mir das Wetter in einer App an und beobachtete die Prognosen für die kommenden Tage. Der Winter ließ auf sich warten. Im Garten knospten Bäume und Lilien reckten ihre spitzen Köpfe aus der Erde.
Mitte des Monats hatten wir dann doch noch echten Winter mit Schnee und Dauerfrost. Aber die Zeiten, dass sich die Kälte bis März hält, sind wohl vorbei. In Gedanken plante ich eine Fahrradreise nach Süden, die am 2. Februar, an Lichtmess, starten sollte. Aber nur, wenn das Wetter radeltauglich ist. Radeltauglich heißt für mich: kein Dauerfrost und nachts nicht kälter als minus drei Grad. Es sollte auch nicht regnen, so meine stille Forderung.
Wenn ich sage, ich habe den Monat mit Nichtstun verbracht, so ist das nicht ganz richtig. Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, gar nichts zu tun. Neben einiger körperlicher Arbeiten im Atelier und im Holzschuppen und im Hühnerstall habe ich viel nachgedacht über das Leben, die derzeitige, alles andere als schöne Situation weltweit, ließ mir Nachrichten zwischen den Hirnwindungen zergehen, bekam gar ein bisschen Panik, dass rundum alles den Bach runtergeht, dass Land und Leute im kollektiven Schmutzschlachtwahn versinken, dass sich die Schlingen um unsere Hälse immer enger ziehen und erst recht die um die Herzen und dass es irgendwann vielleicht gar nicht mehr möglich sein wird, frei durch den Kontinent zu radeln, weil wieder überall Grenzen, Kontrollen und Angst herrscht. Dass man als wild zeltender „europennerischer“, freier Typ mit Fahrrad und Gepäck argwöhnisch beäugt wird und in einem unangenehmen Spießrutenlauf die Lande durchqueren muss, die man noch vor fünf, zehn, zwanzig Jahren offenen Herzens und mit einem Lächeln auf den Lippen erforschte. Kälte, die von Innen kommt.
Diese Gedanken bremsten meinen Enthusiasmus ebenso, wie sie ihn beflügelten, wobei die Beflügelung eher aus einer Art Torschlusspanik rührt: tue es jetzt, bevor alles zusammenbricht. Ich weiß, diese Gedanken sind vielleicht ziemlich klein und egoistisch, aber ich gehe jede Wette ein, dass andere Menschen auch solche Gedanken hegen.
Wenn ich in meinem Blog weiter geschrieben hätte, wären nur drei Artikel entstanden. Es gab nicht viel zu erzählen. Ich erlebte nicht viel und ich war auch nicht in der Laune, etwas mitzuteilen. Zwei der Artikel sind beim Fahrradfahren entstanden, denn natürlich wollte ich den Winter auf seine Radelbarkeit abklopfen, und so schwang ich mich bei Nebel und Schneeregen aufs Fahrrad und radelte etwa sechzig Kilometer weit hinüber nach Frankreich und wieder zurück. Mit dem Fazit: es könnte klappen, auch bei diesen Witterungsbedingungen. Frühere Touren im Winter mit Übernachtung im Zelt liefen ja auch, aber das ist lange her. Vor einigen Tagen feierte ich meinen fünfzigsten Geburtstag.
Der Winter fühlt sich vorbei an. In der Künstlerbude ist es mollig warm. Die Wasserleitung, die unisoliert dreißig Meter an der Hauswand entlang führt, ist seit ein paar Tagen wieder in Betrieb. Ich könnte im Garten auf den Frühling hin arbeiten. Aber ich habe beschlossen, mit dem Fahrrad nach Gibraltar zu radeln. Ein Vorhaben, das ich schon seit 1990 immer wieder angehe, und das mich etliche Male nach Südfrankreich und Spanien gebracht hat. Den Extrempunkt, fast im Süden der iberischen Halbinsel zu erreichen, ist mir jedoch bisher nicht gelungen. Zwei mal endete die „Expedition“ in der Gegend um Valencia, zwei mal schaffte ich es bis nach Andorra (im verlinkten Artikel wird neben den beiden Zweibrücken-Andorra-Reisen auch das Kunststraßenkonzept erläutert, an dem ich seit zwanzig Jahren arbeite). Die kürzeste Fahrradtour mit der Absicht, Gibraltar zu erreichen, endete im November 1990 schon am ersten Reisetag in Rinnthal im Pfälzer Wald. Und eines Winters, ich glaube 1995 verirrte ich mich nach Marseille, wo ich in den zerklüfteten Calanques einen Monat in einer zerfallenen Hütte am Meer lebte.