Radlerlatein und Marmeladenexperimente #Gibrantiago

Heute der erste Tag, an dem ich lieber zurück, als nach vorne schaue. Die Schlechtwetterprognose in der Smartphone-App baumelt wie ein Damoklesschwert. Dabei sieht es, wenn ich hier aus dem Fenster der Herberge ‚La Caroline‘ in Filain schaue, eigentlich nur grau aus. Kein Regen. Das Thermometer, das ich nachts rausgelegt habe auf die Fensterbank, zeigt vier Grad. Drinnen hat es zwölf. Ich sitze im Schneidersitz auf einem der vier Betten, auf dem, in dem ich auch geschlafen habe, und tippe direkt auf dem Smartphoneschirm. Die externe Tastatur ist nun endgültig kaputt. Fast komme ich mir vor wie auf dem Camino 2010, als ich ‚Schon wieder ein Jakobsweg‘ auf dem glatten Minibildschirm tippte. Mein allererstes Livereiseprojekt.

Gestern war ein kalter Tag. Durch Weideland und Wälder ackerte ich auf und ab bis nach Vesoul, die letzten 33 Kilometer auf der D10, die zwar nicht allzu stark befahren war, aber dennoch nervte. Ich hatte mich so sehr an Kanalradwege und kaum benutzte Ministräßchen gewöhnt.

Immer nur kurze Stopps, um etwas zu essen und zu trinken. Kalter Südwestwind. Seichte Sonne. So stelle ich mir die Luft in Peking vor bei Smogalarm. Nur in braun und dreckig und unatembar.

Dann Vesoul. Große Stadt. Wohnblocks. Sinti-Wohnwagensiedlung am Ortseingang. Supermärkte, Elektronikläden, Kanalarbeiter, Baustellen, Polizisten, ein Stau, ein Park, etwas das aussieht wie ein Kurhaus. Backtempel. Ich hatte nicht den Nerv, mich länger in der Stadt aufzuhalten. Die Wohnblocks bedrückten mich. Menschen, die dicht auf dicht mit Menschen leben. Müssen. Nach einer Touristinfo suchte ich erst gar nicht, sondern radelte direkt, dem GPS folgend zu dem Radweg, der eingezeichnet ist und der aus der Stadt hinausführt nach Osten. Acht Grad zeigt ein Thermometer. Mein Gefühl sagte vier.

Am Radweg fragte ich einen Jungen, wie weit der Weg wohin führt. Zwanzig Kilometer Deine Richtung und dass man nur hier in Vesoul etwas zu essen kaufen könne. Da draußen an der Piste Verte gibt es nichts, ah Moment, doch, da könnte eine Épicerie sein in einem der Dörfer.

Da ich genug Essen hatte, radelte ich ohne einzukaufen auf der ehemaligen Bahntrasse. Stets leicht berghoch. Bis zu jener Épicerie, ein Lebensmittelladen in Dampierre sur Linotte. Am Radweg hat man sogar einen Lageplan mit Hinweisen auf Metzgerei, Bäckerei und Den Laden aufgehängt. Das ist alles andere als üblich. An französischen Radwegen findet man kaum Informationen über die Umgebung. Sogar Bains-les-Bains habe ich auf der Radroute Nr. 50 umfahren, ohne auch nur einen winzigen Hinweis auf die Stadt vorzufinden.

Es scheint, als koche hier in der Gegend jede Gemeinde ihr eigenes Radlersüppchen. Hinweisschilder gibt es oft. Aber nur aufs nächste Dorf. Wenn man Glück hat, findet man eines der seltenen Hinweisschilder auf den Eurovelo 6, der am Doubs entlang führt. ‚Vers Eurovelo 6 Belfort 75 km‘ konnte ich irgendwo vor Vesoul lesen. ‚Vers Eurovelo 6 43 km‘ stand kürzlich an meinem Bahntrassenweg. Das mündet dann in Ougney auf den Doubsradweg.

Radlerlatein.

Gerade hab ich gefrühstückt. Madame Magaud macht wunderbare Marmeladenexperimente. Zucchinimarmelade mit Limette zum Beispiel. Tomate-Aprikose usw.

Draußen platscht nun doch Regen. Ringe in Pfützen, mal stärker, mal schwächer.

Ich will nicht da raus, aber hierbleiben ist auch keine Option. Nun denn teste ich die frisch imprägnierten Regenkleider.

6 Gedanken zu „Radlerlatein und Marmeladenexperimente #Gibrantiago“

  1. Abenteuerlich klingen die Marmeladen, die ich jetzt gerne probieren wollen würde … abenteurlich dein Radlerleben, aber das kenne ich ja nun von dir und wie gerade wieder meine Hochachtung vor dir und deinen Kunststrassen wächst. Bei Wind und Wetter ist bei dir keine leere Metapher. Wenn ich hier aus dem Fenster schaue und diesen Schneeregen sehe, dann, ja dann … wünsche ich dir besseres, als hier.

    liebe Grüsse
    Ulli

    1. Von innen sieht es fast unbewältigbar aus. Das kenne ich von daheim. Aber wenn man erst einmal losgeradelt ist, muss man damit zurechtkommen.

  2. Zum Glück wird wieder trocken, was nass war.
    Ich wünsch dir, dass es wieder Engel regnet und dich baldest der Sonnenschein, der hier eben den Regen abgelöst hat, dich erreiche.
    Buon camino!

    1. Danke liebe Antje. Ich radele jedoch Richtung Osten. Aber Besançon merke ich mir. Ich will hier auch mal bei Sonnenschein radeln.

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