Von Lorquin nach Chamagne #Gibrantiago

Blick aus dem Fenster, schreib’s groß FENSTER. Nebel sickert. Blick schweift über Dächer und Schlote, endet an grauen Mauern mit anderen Fenstern. Je weiter die Dinge weg, desto grau. Der Nebel ist eine Graumachmaschine. Der natürliche Feind der Sonne.Das Moseltal hat bestimmt viel Nebel. Aber es ist auch ein Idyll. Weideland und Gärten und Obstanlagen, wie war nochmal der französische Name für Obstanlage? Meine Gastgeber Marie und Dominik haben mir viel erzählt über die Gegend, das südliche Lothringen, das Obst, die Gärten und das 300 Jahre alte Haus, das einst, wenn ich es richtig verstanden habe, vom Polenkönig Stanislaus als Jagdhaus erbaut wurde. Daher auch der riesige alte Kamin im Erdgeschoss, in dem man gut eine Wildsau aufgespießt grillen könnte.

Axtbehauene Holzbalken, dazwischen modern isolierte und geweißte Decke. Die Zentralheizung brummt. Es ist warm. Bettdecke. Kuschelmatratze. Ein uralter, dunkelbrauner Intarsienschrank.

Was hab ich gefroren gestern, als ich aus den Feldern östlich von Bayon hinabgeradelt war, die Route verlief über ruhige Landstraßen, umspielt von eisigem Nordostwind. Heute ein Zimmer, sagte ich mir und radelte unbekümmert am einzigen Hotel in Bayon vorbei. Im Nachbarort wird es schon etwas geben, eine Auberge. Wir sind hier an der Mosel. Da gibt es Touristen. Wanderer. Radler. Pah. Nicht im Winter. Eine geschlossene Gîte d‘ étape. Das sind glaube ich so eine Art Ferienhäuser, gekennzeichnet mit einem grüngelben Symbol, worauf Frankreich abgebildet ist.

Im nächsten Dorf, Chamagne, gibt es zwei Restaurants. Gutso. Wo Essen, da Schlafen. Das erste Restaurant ist zu. Ich erkenne ein paar Leute durchs Fenster. Die Belegschaft? Niemand steht auf, um mir Infos zu geben.

Marie und Dominik sind die Einzigen, die ich nach Zimmern fragen kann. Nein, sie wissen keine Auberge in Chamagne. Aber in Charmes gibt es ein Hotel. 4,5 Kilometer bis zum Kreisverkehr, über die Brücke, an der Ampel scharf rechts. Sie erklären es mir zweimal und ich muss immer wieder darüber staunen, wie Menschen anderen Menschen den Weg erklären. Es ist ein Fest. Schon sitze ich wieder auf dem Radel, da rufen mich die Beiden zurück. Das Haus sei groß, ich könne ein Zimmer haben.

Aber keine Umstände, sag ich, da lacht Marie, sie haben fünf Kinder und zwölf Enkel, da sei sie das Bettenmachen und Zimmervorbereiten gewöhnt.

Später beim Abendessen, zu dem ich natürlich auch eingeladen bin, kommt mir ein Gedanke in den Sinn, den ich schon morgens hatte: das Bild von den Menschen und Europa, das man in den Sozialen Medien bekommen kann, will so ganz und gar nicht mit dem übereinstimmen, was mir hier und jetzt hier draußen begegnet.

10 Gedanken zu „Von Lorquin nach Chamagne #Gibrantiago“

  1. Es gibt ja immer beides. Und ich wette, die Gesamtgutheit der Menschheit ist bestimmt größer als die Gesamtbosheit – so ähnlich schrieb ich neulich bei Ello.

    Gute Weiterreise!

    1. Gesamtgutheit – ein feines Wort!

      Ach, ich bleibe jetzt einfach in diesem Feld und schreibe jetzt hier auch dir, Jürgen, das fängt ja alles richtig gut an- gute Menschen treffen gute Menschen?!

      Ja, die Sonne dürfte mal scheinen, auch und gerade für dich.
      herzliche Grüsse
      Ulli

      1. (Danke, Ulli … Ich glaube, Gesamtgutheit hat mal die Mützenfalterin in einem Kommentar erfunden, oder jedenfalls die Idee dahinter … ich habe es nur weitergesponnen.)

  2. Hallo Juergen,
    ich glaube, ich habe es schon einmal an anderer Stelle geschrieben: das mit dem Einladen ins eigene Haus zum Uebernachten wuerde Dir hier in den USA sehr oft passieren. Die Menschen sind in aller regel sehr gastfreundlich. Ob das aus der Besiedlungsgeschichte resultiert, wo man darauf angewiesen war, aufgenommen zu werden? Moeglich.
    Weiterhin eine gute Reise,
    Pit

  3. Die Sache mit dem Bild der Menschen in anderen, unbekannten Gegenden, mit dem Erstaunen, dass immer alles anders ist als ich dachte – DAS denke ich bei jeder meiner Touren.
    Und „Es regnet Engel“ ist ein Gutsatz. Und was für einer …
    Möge es Dir weiter Engel regnen.

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