Tag #48 – Infos aus der Homebase

»Heute gehts weiter auf der Via Verde del Aceite. Das Wetter stimmt. In zehn Kilometern verlasse ich den Bezirk Jaén.« So zwitschert Irgendlink am Morgen.

Weiter geht’s auf stillgelegten Bahntrasses, eine Via Verde vom feinsten. Das Wetter wechselt aprilfroh von wolkig bis sonnig. Und nun baut Irgendlink, kurz nach Badolatosa, sein Zelt auf.

Zuheros. Der Bahntrassenradweg führt direkt auf ein Schloss zu. Wolken hängen in den Bergen.
Zuheros. Der Bahntrassenradweg führt direkt auf ein Schloss zu. Wolken hängen in den Bergen.

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Die Grenzen des Liveschreibens

Seit wie vielen Jahren mache ich den Job?

2010 hat es angefangen mit diesem voyeuristischen Liveschreibexperiment. ‚Schon wieder ein Jakobsweg‘ entstand nachts beschnarcht und behustet in Pilgerherbergen am Camino Frances. The dark ‚Ich bin dann mal weg‘.
Getippt auf dem Touchscreen eines stummgeschalteten iPhone 3GS.
Nun sind sechs Jahre in die Lande gegangen, live bloggend einmal rund um die Nordsee, ins Memory Of Mankind Archiv nach Hallstatt in Österreich und letzten Sommer ans Nordkap.
Immer eine handvoll Follower und Mitfiebernder dabei, die die täglichen Berichte lasen (und noch immer lesen).
Ich danke Euch von ganzem Herzen.

Als Produzent und Erleber all dessen habe ich das ‚Medium‘ Liveschreiben von Grund auf erforscht, bin mit ihm gewachsen und groß geworden.
Wie sorge ich dafür, immer und überall online zu sein? Wie produziere ich unterwegs Energie fürs Smartphone? All das technische Zeug als Basis, und im Kopf stets die Vision, nach einer solchen Reise nach Hause zu kommen und ein fertiges, lesbares Buch in Blogform geschrieben zu haben. Eine phantastische Operation am offenen Herzen der Literatur.

Nun stehe ich vielleicht an der Grenze des Machbaren, hab alles gegeben, alles versucht und bin um eine Einsicht weiser: Es geht, jein.

Im Dreigestirn Blog/fertiges Buch/Reise bewegte ich mich die letzten sechs Wochen, twitterte und schrieb so heiß gekocht wie möglich.

Die drei Elemente Blog, Buch und Reise bedingen einander und sie bremsen einander auch aus. Alle Schreibzeit unterwegs unterbricht den Reise- und Erlebensfluss. Alle Schludrigkeit und Redundanz, all die saloppen Sprachfetzen, alles Direkte, was einem Blog gut ansteht, das es sozusagen gut abkann (und all die Tipp- und Syntax, na Ihr wisst schon), blockieren den Reiseroman. Der widerum mit seiner ausschweifend erläuternd künstlichen Sprache nicht so ganz ins Blog passen würde.

Unterm Strich steht Einsicht. Einsicht und Zufriedenheit.

Ich habe in den letzten sechs Jahren einen langen Weg zurückgelegt und dabei unheimlich viele Erkenntnisse – ja, wie sagt man – gemacht, erhalten, gekriegt.

Mit Gibrantiago geht ein Zyklus zu Ende, schließt sich ein Kreis.

Die Idee vom fertigen Reisebuch on the fly gibt es noch immer, und vermutlich wird irgendwann jemand sie auch umsetzen können.

Ich werde mich ab nun auf die Bearbeitung vorhandener Texte konzentrieren – äh, also ab nächster Woche, denn hier geht es ja weiter. Und auch auf Twitter.

Warum ich dies schreibe?

In der Nacht hatte ich zwei Artikel geschrieben und ins Blog hochgeladen und auf ‚privat‘ gestellt, die noch Nacharbeit bedürfen. Rohe Schreibe voller Tippfehler und nicht zu Ende gedachter Gedanken. Zu wenig Zeit und Muse, sie zu feilen und schon graut im weiten, unaufhaltsamen Echt der Reise der Morgen und wieder legt sich ein Tag über die Vergangenheit, galoppieren die Ereignisse … Man könnte sagen, diese Skizzen, diese Privatblogs sind der Nährstoff für eine zweite Runde, in der das Blog zum ‚echten‘ Buch überarbeitet wird.

In einer Woche geht der Rückflug. Es könnte klappen bis zum Affenfelsen.

In meiner Pension sind zwei Maschinenmonteure der Firma HMS, die in Alcaudete eine Möbelfabrik mit einer neuen – wie soll ichs nennen – Produktionsstraße bestücken.

Wegen einer halben Tonne Werkzeugs, das sie mitschleppen, sind sie per Auto hier. Ich habe ihnen mein Paket, das ich neulich per Post verschicken wollte mitgegeben. Sie werden es in Deutschland versenden (danke nochmals, Thomas, falls Du diesen Blogartikel lesen solltest).

Langsam löst sich das Europennerdasein auf (nicht immer freiwillig, siehe Regenjacke).

Jimena – Jaén – Alcaudete

Ich bin ziemlich angespannt. Noch gut eine Woche habe ich Zeit, Gibraltar per Rad zu erreichen. Nachts stecke ich auf dem GPS einen Kurs ab, der mich in vier fünf Tagen über Ronda bis zum Affenfelsen bringen könnte. Das sieht dann ungefähr so aus: auf dem winzigen Bildschirm wird mir die Open Cycle map angezeigt. Sie ist nicht sehr üppig. Ortsnamen fehlen oft oder werden nicht im jeweiligen Zoom-Modus angezeigt. Mit dem Finger tippe ich auf dem keine zehn Zentimeter breiten Bildschirm meine Punkte ein. Die Kartenapp zeigt an der jeweiligen Stelle dann einen roten Bömpel. Immer wieder zoome ich und vergrößere, um meinen Punkt genau auf die Straßenkreuzungen setzen zu können. Dann verkleinere ich die Ansicht wieder, um den Gesamtausschnitt der vielen hundert Kilometer bis Gibraltar zu sehen. Beim Abstecken meiner Route versuche ich, Berge zu vermeiden, die hier in der Gegend bald 3000 Meter hoch sind und ich versuche obendrein, ruhige Straßen zu finden.  Das ganze ist sehr unkomfortabel, aber es hilft mir, den Weg, der noch vor mir liegt, einzuschätzen. Eigentlich ist es ein bisschen wie Bildhauerei. Ich modelliere meine Reisestrecke. Wenn am Fahrrad nichts kaputtgeht, es nicht allzu viele Gebirgspässe sind und irgendwo auf meiner Strecke durch die Berge ist auch eine Bahnlinie verzeichnet. Die kann ich zur Not benutzen, um schneller zu werden. Die Busfahrt gestern war jedenfalls goldrichtig. Sie hat mir mindestens zwei Radlertage erspart und vermutlich auch viel Hauptstraßenstress.

Das Zelt steht auf brauner Erde in einer Olivenplantage. Am Abend habe ich lange nach diesem Lagerplatz gesucht. Weder gab es einen Campingplatz hier in der Nähe, noch eine Pension. Eigentlich ist die große Olivenwüste rings um Ubeda unzeltbar, wenn man nicht auf Privatgrund eindringen möchte, oder direkt an der Landtstraße zelten will. Nach einigen Kilometern Suche entschied ich mich für den Flecken, der an einem totgelegten Stück alte Landstraße liegt – die neue, begradigte Strecke führt hinter dem Grundstück vorbei. Ich bin früh auf den Beinen, da ich es nicht riskieren möchte, vom Besitzer des Olivenhains geweckt zu werden. In Mancha Real gibt es erst einmal Frühstück. Ich kenne leider nur das Wort Desayuno, weshalb meine Bestellungen der Willkür der Restaurantbesitzer unterliegen, wenn ich sage Desayuno por favor und sie mich fragend anschauen, ja, was denn für ein Frühstück, und auf mein Achselzucken hin beginnen, Vorschläge machen, Tostados? Si Senor, so sitze ich mit einem Milchkaffee vor zwei frisch getoasteten Baguettehälften ohne alles, nur eine Flasche Olivenöl und ein Salzstreuer gehören zu dem Drei Euro-Frühstück (inkl. Kaffee). Dann Jaen. Studentenstadt. An der Uni sind alle Parkplätze belegt. Über den Einfahrten zu den beiden Parkplatzgeländen leuchtet Rot eine Schrift Completo und vor den Schranken haben sich Schlangen gebildet und offenbar wartet man, bis jemand vom Parkgelände fährt, um eingelassen zu werden. Über der Stadt steht das alte Kastell, ein nationales Wahrzeichen. Vorbei an der Bahnstation schufte ich mich bergauf bis zum Beginn der Via Verde. Spanische Städte sind fast immer hügelig, liegen fast immer am oder auf dem Berg, so dass es nie leicht ist, mit dem Fahrrad bis ins Zentrum zu gelangen.

Dann ist sie plötzlich da, die Via Verde del Aceite, die Ölroute, die in meinem Reiseplan eigentlich gar nicht vorgesehen war und die ich nur deshalb erreiche, weil ich aus Angst vor Hauptstraßen die Route ins Landesinnere verlegt habe. Und was für eine Radelstrecke. Hundert Kilometer weit führt sie Richtung Südwesten, das sagt mir ein Mountainbiker, dem ich am Beginn der Strecke am Brunnen begegne. Ein verrückter Kerl in Regenklamotten mit Rucksack läuft vorbei und faselt seltsames Zeug, läuft im Kreis, beschimpft uns, verschwindet wieder, kehrt zurück, völlig orientierungslos und Hundegassigänger und Jogger und eine Gruppe Radler. Die Via Verde ist rau geteert mit Ausbesserungen aus Split und einigen Schäden, aber dennoch sehr gut fahrbar. Unschlagbar ist das Geländeprofil, das ehemaliger Bahnstrecke sei Dank nur wenig Steigung aufweist. Es gibt einige Tunnels. Die Piste kreuzt mehrfach Autobahn und Nationalstraße, die man mittels eigens gebauter Radlerbrücken überquert. Jenseits von Martos sind auch die alten Viadukte noch erhalten, eiserne Fachwerkbrücken, deren Belag aus ehemaligen Bahnschwellen besteht. Das ist sehr holprig, eigentlich mit Gepäck kaum fahrbar. Manchmal ist am Rand neben den Schwellen ein schmaler, betonierter Streifen. Noch immer herrscht Olivengegend, aber sie wirkt hier milder. Zwischen den Bäumen wächst oft noch Gras, was nahe Ubeda durch intensives Fräsen oder mit Gift ausgemerzt wurde.

Dunkle Wolken hängen ja schon lange in den Bergen. Nun beginnt es zu regnen. Zeit, die Regenjacke anzuziehen. Aber denkste. Die ist gar nicht mehr da. In einem Tunnel durchsuche ich alle Packtaschen. Die gelbe Jacke, die mich seit dem Jakobsweg 2010 vor Wind und Wetter schützte ist verschwunden. Fast könnte ich heulen, kauere unter einem Olivenbaum. Mein wichtigster Ausrüstungsgegenstand liegt vermutlich oben an dem 1428 Meter hohen Pass. Ich erinnere mich, dass in den Serpentinen einmal der Packsack heruntergefallen war, ich ihn schnell wieder auflud, mich freuend, dass ich es bemerkt hatte. Wahrscheinlich ist zuerst die Jacke runtergerutscht. Regenjacken fallen lautlos.

Als der Regen kurz einmal nachlässt radele ich die zwei Kilometer bis Torre del Campo, überlege, wie es nun weitergeht. Ohne Regenjacke komme ich heute nicht mehr weit. 16 Uhr. Ich irre durch die Stadt, stelle mich unter Vordächern unter. Soll ich in die Kneipe, erst mal einen Kaffee? Mir ist nicht nach Leuten. Da drin dudelt bestimmt die ewige Glotze, die in spanischen Restaurants allgegenwärtig irgendwo an der Wand hängt und Nachrichten oder Sport zeigt. Leute, Lärm, Fragen. Die Jacke war so etwas wie mein Schutzmantel. Ich erinnere mich, dass ich beim Flug von den Shetlandinseln nach Bergen auf der Radrunde um die Nordsee naiv gedacht habe, wenn nun der Flieger notwassern müsste und ich raus muss ins Meer, dann packe ich alles Wichtige in die beiden absolut wasserdichten Brusttaschen, also vor allem das Smartphone mit all meinen wichtigen Künstlerdaten und dann kann ja nix passieren und zudem so gelb, entdeckt man dich ja auch viel besser, in der eiskalten Nordsee, wo du bei acht Grad bestimmt lange überlebst, haha …

Lebensrettung beginnt ja im Kopf, Unglücke und schlimme Zustände auch. Torredelcampo ist ein schlimmer Zustand. Die Formel lautet: es wird tagelang regnen, du wirst nie wieder so eine gute Jacke kriegen, ewige Nässe, Unkomfort, so stehe ich vorm Schaufenster eines Kleidergeschäfts, in dem man sich offensichtlich auf Schlafanzüge spezialisiert hat. Soll ich warten bis 17 Uhr, bis die Mittagspause vorbei ist und schauen, ob zwischen all den Schlafanzügen auch eine Regenjacke hängt, ein Poncho, irgendwas für Radler?

Ich erinnere mich, dass ich einmal von Biel nach Brugg einen ganzen Tag lang im Regen geradelt bin, einzig mit den Radlerkleidern am Leib, die ich gerade trage, also Junge, reiß dich zusammen, was solls, das könnte doch auch klappen. Nassradeln. Nicht angenehm.

So probiere ich es aus, der Regen schwankt ohnehin. Mal nieselt es, mal drückt der Wind ein paar größere Tropfen heran, schon bin ich wieder auf dem Radweg, durchradele einen Tunnel und stelle mir vor, es ist wie in den Alpen, bei Regen rein und raus in die Sonne, aber am anderen Ende erwarten mich doch nur die ewigen Oliven. Martos ist die nächste Stadt. Vielleicht ein Zimmer nehmen, ausruhen, hoffen, dass das Wetter sich am nächsten Tag bessert? Verflixt, die Wolkendecke reißt auf. Ich kann wieder weit sehen und was ich sehe ist gut. Mindestens eine Stunde kein Regen.

Gleichzeitig verdaue ich auch den Schmerz des Verlusts. Ich staune doch sehr, dass das so schnell geht, dass ich mit der Wetterbesserung sogleich auch eine Stimmungsbesserung auftut. Was ist das bloß, was mir diese gefühlsmäßigen Kehrtwenden immer so leicht macht, frage ich mich, vor allem auch, stets in die richtige Richtung, diese Kehrtwenden. Eine Art natürliches Antidepressivum, fest verankert in meinem Innern?

Alcaraz – Úbeda – Jimena

Ubeda. Nie gehört, den Ortsnamen. Und nun stehe ich da im Wind an einer – naja, wie soll ich es nennen? – Steilküste wäre sicher das falsche Wort, denn ich bin mitten im Land, mitten in den Bergen und dennoch bin ich auf einer weiten Ebene oder in einem gewellten Hügelland, stehe am Rande eines weitläufigen Tals und schaue Richtung Südwesten auf eine wolkenverhangene Bergkette, die aussieht wie eine Säge. Sierra, das heißt Säge, sagte vor etlichen Tagen Stefan, der Schweizer Radler, den ich auf der Via Verde Val de Zafan getroffen hatte.

Die winzige Straße vor mir fällt steil ab, so steil, dass ich sie im Leben nicht in die umgekehrte Richtung fahren, äh, hochschieben, möchte. Oliven. Ewige Olivenhaine, wobei Hain auch das falsche Wort ist. Seit hundertfünfzig Kilometern das gleiche Bild. Diese graugrünen unheimlich knorzigen kaum drei Meter hohen Bäumchen im Abstand von vielleicht fünf bis zehn Metern verteilt über das wellige Land, das zugleich Gebirge ist, schiefe Ebene, Hochtal und Steilküste. Nur diese Bäume. Mit Fräsen wird die Erde rings um sie herum aufgelockert. Lehmbraun, sandig und wenn es regnet klebrig. Die verdrehten Stämme sind oft ziemlich dick, Manchmal stehen drei Bäume dicht beieinander, so dass man nicht genau erkennt, ob es einzelne Bäume sind, oder ein Baum, der ab der Wurzel drei Stämme bildet. Vermutlich gibt es so viele verschiedene Olivenpflanzarten, wie es Oliven gibt.

Ubeda ist schön, eine Stadt, voller alter Gebäude, Kirchliches und Parks und es scheint verdammt groß zu sein. Der Bus, der mich hierher gebracht hat, kurvte an zwei drei Ausfahrten an der Nationalstraße vorbei bis zur Ausfahrt Süd, bis zum großen Busterminal, ideal gelegen für mich, um schmerzfrei die Stadt Richtung Jaen zu verlassen.

Zwei Stunden zuvor sind wir in Alcaraz gestartet und haben unterwegs vielleicht vier oder fünf Zwischenstopps gemacht. Nahe Beas de Segura gab es sogar einen Flughafen. Ich weiß nicht, ob er noch in Betrieb ist, oder ob es sich nur um eine Art Zweibrücken auf spanisch handelt, also einen kleinstädtischen Flughafentraum, der mit EU-Geldern bis zur Pleite gefördert wurde und dann bumm.

Durch die getönte Scheibe des Busses das Land betrachten. Baustellen, und diese Weite auf dem teilweise wie ein Damm durch das Land führenden Schnellweg. hier radeln jetzt, oha, das flößt mir Angst ein, so dachte ich, als ich im fast leeren Bus döste, das Fahrrad unter mir im Gepäckraum, sogar die Taschen konnte ich aufgesattelt lassen, so viel Platz hatte der Bus. Zwei Hinterachsen und sooo lang.

Nun stehe ich also am Rand der Welt in Ubeda. Wenn ich jetzt die Straße hinunterrolle Richtung Rio Guadalquivir, werde ich nie wieder hier herauf können. Ein Teil meines Ichs liebäugelt einen der drei Busse nach Jaen zu nehmen, die noch heute in die sechzig Kilometer entfernte Stadt fahren, aber am ALSA-Terminal hatte man mir gesagt, ich müsse fürs Fahrrad eine Tasche für zwölf Euro kaufen, es verpacken, wohl weil die Busse kleiner sind oder einfach weil die Infrastruktur mit Regeln und Tasche und Tarifen da ist. Fünf Euro ich, zweiundzwanzig Euro das Radel wäre der Preis.

Ich mache Fotos. Ist das Schnee da drüben, zwanzig Kilometer weit auf der anderen Seite des Tals? Ein Landrover ächzt die Straße herauf. Ein Opa mit seinem Enkel läuft gutmütig auf das Kind einredend an mir vorbei. Ich habe Herzklopfen. Der Schlund ist beängstigend, die Weite und die ewigen Oliven, dann steige ich aufs Rad und rolle hinab.

Die Oliven nehmen kein Ende. Was, wenn ich bis Jerez durch solch eine Gegend radeln muss? Erst zehn Kilometer weiter, als ich den Rio Guadalquivir überquere wird mir etwas wohler. Und ich muss wieder raufradeln nach Jimena, wo ich auf eine Pension oder ein Hotel spekuliere. Im Aufwärtsradeln ist es nicht ganz so schlimm. Nebenbei sondiert der Blick Wildzeltmöglichkeiten. Alte Angewohnheit. Nichts. Wenn ich hier zelten will, muss ich in die Olivenhaine, muss ich in den lehmigsandigen hellbraunen Boden, der bestimmt eine Schlammschlacht garantiert, wenn es regnet, oder wenn das Bewässerungssystem eingeschaltet wird. Neben den Bäumen ragen schwarze Schläuche aus dem Boden. Wie am Tropf.

Jimena gegen halb acht. In einem Lebensmittelladen erklärt man mir, dass es im Ort keine Zimmer gibt, kein Hotel, kein Campingplatz. Die nächste Möglichkeit, sagt die Besitzerin mit einem Vielleicht auf den Lippen, sei acht Kilometer abseits in den Bergen oder in Mancha Real meine Richtung etwa fünfzehn Kilometer.

Müde kurbele ich Richtung Mancha Real, folge einem toten Stück Landstraße, das nach einer Begradigung zu einem Wirtschaftsweg degradiert wurde und baue das Zelt unter einem Olivenbaum auf. Unweit ist ein Regenauffangbecken. Frösche quaken. Mir ist schlecht. Ich hoffe, dass es nur die Nachwirkung der Busfahrt ist, das Geschaukel ging mir ziemlich in die Eingeweide.

Tag #47 – Infos aus der Homebase

Gestern wars. Oder vorgestern? Nein, eher gestern. Vielleicht im Bus? Oder vielleicht ist sie einfach runtergefallen, vom Fahrrad, irgendwo in den Bergen. Fakt ist: Die Regenjacke ist weg. Irgendlinks teure, damals, vor bald sechs Jahren für teuer Geld eigens für den Jakobsweg angeschaffte Regenjacke ist verschwunden. Mist aber auch. Zumal es heute kühl und zeitweise regnerisch war.

Er war früh unterwegs heute, Irgendlink, hat Jaén besucht, ist weitergeradelt, hat unterwegs das Zelt getrocknet, das nasse, und schließlich wieder eine Via Verde gefunden: die Via Verde del Aceite. Der grüne Ölweg sozusagen. Und es läuft oft − will man den Tweets glauben − fast wie geölt. Wäre da nur nicht die Jacke verloren gegangen, denn zwischendurch ist es kühl. Am Nachmittag kommt aber zum Glück die Sonne wieder.

Heute hat Irgendlink mal wieder ein Dach über dem Kopf. Für einen Spezialpreis kann er in einem Rural, einem Landgasthof direkt an der Via Verde, in einem leerstehenden Vierzimmer-Appartement nächtigen. Die Wäsche ist eingeweicht, die Heizung angeworfen, auf dass alles morgen wieder trocken sei.

In Martos. Dampflokdenkmal
In Martos. Dampflokdenkmal
Pfau am Kreisel bei der Uni Jaén
Pfau am Kreisel bei der Uni Jaén
Mittelalterbrücke am Río Víboras gesehen von der Eisenbahnbrücke
Mittelalterbrücke am Río Víboras gesehen von der Eisenbahnbrücke

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Tag #46 – Infos aus der Homebase

Heute Vormittag hat Irgendlink eine, wie ich finde, sehr weise Entscheidung getroffen. Da die Zeit bis zum Rückflug am 20. April für den geplanten Weg durch die Berge allmählich knapp wird, hat er heute ein Stück Weg per Bus zurückgelegt − zumal die Straßen für Radreisende doch zu wünschen übrig lassen. Nach einer stürmischen, halb schlaflosen Nacht war das sicher nicht schlecht. Für die Strecke Alcaraz – Úbeda hat er den Bus genommen. Von dort aus geht’s nun weiter südwärts, Richtung Jaén.

Sein Nachtlager baut er heute irgendwo zwischen Olivenbäumen auf, die hier überall in rauen Mengen wachsen.

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Point of no return: „Da muss ich runter!“

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Die neue Streckenidee, aus Waypoints skizziert, ist ebenfalls auf dem Track mitdrauf.

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Was kann schon passieren? #Gibrantiago

Sturm. 1:13 Uhr. Ich bin auf einer Höhe von etwa tausend Metern, hat mir SoSo in der Homebase vorhin, gestern Abend, am Telefon gesagt. Heute ist ja schon heute. Das Zischen der Böen in den verkrüppelten – ja, was sind das für – Bäumchen, unter denen das Zelt steht, knorrige, in Schlangenlinien gewachsene Zwerge mit vielen dürren Ästen. Am Abend, als ich das Zelt aufbaute, halb gebückt, auf einem eigentlich ganz schönen Platz in der Weidegegend, sagte ich mir, ich muss aufpassen, dass ich mir nicht einen der Äste ins Auge oder in den Hals ramme. Alles spielt sich auf Schulterhöhe ab. Darunter duckt sich das Zelt. Jedenfalls hat mich das Zischen des Windes geweckt und ich bemerke, dass Innen- und Außenzelt auf der windzugewandten Seite aneinanderkleben, weshalb Wasser eindringen konnte. Also raus in die Kälte, die Heringe neu setzen. Zappenduster. Sterne sieht man nicht. Der Himmel ist bedeckt. Das nächste Dorf, Vianos heißt es, glaube ich, dürfte drei, vier Kilometer entfernt sein. Wäre ich doch bloß dahin gefahren gestern Abend! Um zwanzig Uhr blitzte die Sonne und ich rollte mit zwanzig, dreißig Sachen aus dem gewundenen Tal unterhalb eines 1428 Meter hohen Passes und plötzlich, eine andere Gegend. Kahl. Steinig. Wunderschön, aber zum Zelten, zudem windgeschützt, wirste da wohl nichts finden. Irgendwo im Hinterkopf gaukelte die Idee, ein Hostal zu suchen, ein Zimmer zu mieten, aber wenn man so lange in der Einsamkeit war, fällt einem der Gedanke schwer, unter Mnschen zu gehen, womöglich mitten in der Stadt über einem Restaurant in dem bis spät abends Janda ist, ein Zimmerchen zu mieten, sei es auch noch so trocken.

Mein verflixter Verstand, seine Weitsicht, seine Fähigkeit zur Spekulation, seine abgrundtiefe düstere Phantasie, die binnen weniger Sekunden eine ganze Welt zurechtzaubern kann. Verflixt. Aus einem möglicherweise existierenden Hostal mitten in einem winzigen Dorf macht er eine die ganze Nacht lärmende Bude und nun, da ich im Zelt hocke und den Böen zuhöre wie sie die Spitzen der Krüppel kitzeln, malt dieser gleiche perfide Verstand das Bild eines windzerfetzten Zelts und Dauerstarkregen. Dabei rütteln die Böen nur ab und zu sanft an den Zeltwänden. Der Platz ist eigentlich gut gewählt.

Es gibt keinen Grund, nicht zu schlafen, nun, da ich die Heringe neu gesteckt habe.

Diese Reise ist schon speziell. Bringt mich mehr denn je an meine Grenzen. Was war die Tour ans Nordkap doch ein Spaziergang dagegen. Was hatte ich damals Wetterglück, denn ich stelle mir manchmal vor, ich hätte ein Tiefdruckgebiet erwischt Ende August in Lappland. Dann hätte es zum Nordkap auch anders ausgesehen.

Dort oben einen Sturm haben, oha. Die zwei Tage von Havøysund nach Olderfjord, schon auf dem Weg zum Flughafen, waren exemplarisch. Starker Gegenwind. So wie jetzt hier. Aber dort konnte ich mich gemütlich auf ein Vorankommen mit fünf bis zehn Kilometern pro Stunde einlassen, denn ich hatte das Ziel ja schon erreicht und genügend Zeitreserve, um zum Flughafen zu trödeln.

Hier? Jetzt? Wenn der Sturm anhält brauche ich zwei Tage bis zum nächsten Bahnhof in Almuradiel. Ich hatte schon vorgestern in Erwägung gezogen, ab dort den Zug nach Jaén zu nehmen, denn meine selbst abgesteckte Route weißt ab Almuradiel bis etwa dreißig Kilometer südlich in Carolina ein Stück Land auf, in dem es offenbar keine Radlerstrecken gibt, mehr noch, wie das GPS zeigt, gibt es dort nur eine Autobahn. Schwer denkbar, dass man dort mit dem Radel fahren darf. Zudem ich, der stark und schnell befahrene Straßen meidet wie der Teufel das Weihwasser. Nein, nein.

Nun tippe ich diese Zeilen gegen die Schlaflosigkeit und gegen den Lärm des Windes. Starke Böen können schon mächtig erschrecken und ich weise mein Hirn an, sich die Extremfälle vorzustellen, nicht etwa um die Angst zu schüren, sondern, um mir selbst klarzumachen, wie dumm es ist, sich Sorgen zu machen. Ich will mich in einen Was-kann-schon-passieren-Zustand versetzen und ich denke, das sollte man viel öfter tun, wenn man irgendwelche Sorgen wälzt. Die Was-kann-schon-Passierens dieser Welt benennen und dann sind sie schon nicht mehr so schlimm. Der Spirituskocher könnte zum Beispiel das Zelt in Brand setzen. Ich nutze ihn bei Kälte manchmal als Heizung. Funktioniert prima. Was kann schon passieren? Das Zelt ist futsch, ich habe mich aus der Tür gerettet, packe meine Habseligkeiten und radele die drei Kilometer, zudem abwärts, ins Dorf, wo ich mich im Windschatten der Kirche herumdrücke, bis der Morgen graut.

Oder der Wind wird so stark, dass er das Zelt niedermetzelt. Mal abgesehen, dass das unwahrscheinlich ist, siehe Fall Feuer im Zelt. Und überhaupt, diese Reise mit dem Ziel Gibraltar, was kann schon passieren, wenn jetzt eine Woche Schlechtwetter angesagt ist? Ich niste mich in einem Hostal ein. Auf den nächsten zehn, zwanzig Kilometern gibt es garantiert eins. Das letzte, das ich sah, liegt auf der anderen Seite des 1428 Meter hohen Passes, da könnte ich mit Rückenwind wieder zurückradelen, oder ich rufe ein Taxi, das mich zum nächsten Bahnhof bringt. Also was kann schon passieren?

Ich stopfe mir jetzt ein Stück Klopapier in die Ohren. Vielleicht kann ich dann noch ein bisschen schlafen.

Tag #45 – Infos aus der Homebase

Heute mal wieder ein Tag in Bildern. Die Tweets des Tages, Vino inklusive, könnt ihr gerne in der Seitenspalte lesen. Passfahrten auf Spanisch haben was, sagt Irgendlink, und das Streckenprofil bei den Kartenlinks ist auch nicht ohne.

Zwischen Felsen und Gebüsch, auf etwa 1000 m. ü. Meer, baut Irgendlink jetzt sein Zelt auf. Es ist brrrr und unser Radler ist froh, dass die warmen Klamotten noch an Bord sind.

Monument des Danks, unvollendet, in Pantera

Du kommst hier nicht rein, in Pantera

Foto 1
Regenbogen. Rückblick nach Paterna del Maderna.

Foto 2
Schattenradler

Foto 3
Nach dem bewaldeten Naturpark, in dem sich Polizisten auf Enduros herumtrieben, öffnet sich das Tal kurz vor Vianos. Wollte eigentlich noch zehn Kilometer radeln, aber da einen windgeschützten Zeltplatz finden?
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In den wilden Kordilleren sieht es manchmal sooo aus: bitte hier ⇒ klicken.

Tag #44 – Infos aus der Homebase

Heute hat Irgendlink zwar nicht gegen Windmühlen gekämpft, aber mit Winden; Westwinden, Gegenwinden.

Quer durch die Lande radelte er, um sich hoffentlich bald wieder auf ein längeres Stück Radweg einspuren zu können. Die Autostraßen, die er heute gefahren ist, sind zum Glück nicht stark befahren und die überholenden Wagen rücksichtsvoll, dennoch fährt es sich angenehmer auf Strecken ohne Autos.

Sein Zelt steht heute wieder in einem kleinen Waldstück − nicht zuletzt ein guter Windschutz.

Ontur
Ontur
Unterwegs I
Unterwegs II
Unterwegs III
Selfie-Pano

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Wie es dort aussieht, weiß sogar Guugl Striitviu: dazu bitte hier ⇒ klicken.

Sierra del Räumungsverkauf #Gibrantiago

„Elf Blätter brauchen wir noch, Marietta, elf Blätter und ein bisschen Tinte“. Er ging zum Safe, drehte die Kombination, öffnete und nahm einen Umschlag heraus, in dem sich 250 Euro befanden. Der klägliche Rest aus der Barschaft. Wie viele Scheine wohl in den letzten Jahren diesen Safe durchwandert hatten? Sowohl im Lager, als auch in den Kassen und auf den Konten herrschte einst reger Waren- und Geldverkehr. Marietta hätte eigentlich nicht kommen müssen an diesem letzten Tag. Die Übergabe hätte er alleine machen können. Er räumte seine Habseligkeiten vom Schreibtisch, das Bild seiner Familie, einen Wimpel, den er beim Radfahren in Österreich letztes Jahr im Straßengraben gefunden hatte, auf dem geschrieben stand, ‚Geprüfter Radfahrer‘, was auch immer das auf spanisch heißen mochte, sein silbernes Feuerzeug und eine Zigarre, die ihm einst ein kubanischer Kollege geschenkt hatte. Dass er Marietta nun in die Unwägbarkeiten des spanischen Arbeitsmarktes oder besser gesagt Arbeitslosenmarktes entlassen musste, tat ihm besonders weh.

Auf dem Laptop schickte er elf Dateien an den Drucker und druckte drei i, ein L, ein ó, ein q, ein a, ein n,ein d, ein u und ein t in fetter schwarzer Schrift je auf ein Blatt. Als Marietta die Blätter brachte, drückte er ihr den Umschlag mit den 250 Euro in die Hand und bedankte sich. Er unterdrückte die Tränen.

Mit Klebestreifen befestigten sie die Blätter gemeinsam an der getönten, riesigen Scheibe die nur eine von vielen war an dem knapp sechzig Meter langen Möbellager mit Schauraum und Büros. Es würde ein warmer Frühlingstag werden. Der Westwind brachte klares Wetter und Sonne.

L I Q U I D A T I O N

Er ließ sich in seinen Drehstuhl fallen, legte die Füße auf den Schreibtisch, was er sonst nie tat, und schaute nach draußen, wo gerade ein schwer bepackter Reiseradler vorbei radelte, der neben den üblichen wasserdichten Packtaschen noch ein großes grünes Paket der spanischen Post auf dem Gepäckträger mitschleppte.

Ich.

Schon an der Küste hatte ich überlegt, dass es langsam an der Zeit ist, die Winterklamotten und einiges anderes überflüssiges Zeug mit der Post nach Hause zu schicken. Da kommt mir die Correjos – so heißt in Spanien die Post – neben einer Bäckerei, in der ich mich mit Brot und Leckereien eindecke, gerade recht. Schon habe ich ein Faltpaket für Drei-Euro-Nochwas erstanden und räume vor der Tür sämtliche Packtaschen leer und stopfe alles Überflüssige in den Karton. Die Kirchturmuhr schlägt zwölf. An der Tür hängt ein Schild, dass bis 14:30 geöffnet ist. Das Paket von vielleicht sechzig mal fünfunfzwanzig mal sechzig Zentimetern ist beinahe zu klein für all das Zeug und mit einem ‚wird-schon-nicht-so-teuer-sein‘-Lächeln kehre ich zum Schalter zurück, fülle die Internationalpapiere aus, da tippt mich der Mann am Schalter an und zeigt auf den Preis, 42 Euro, ich falle fast vom Hocker, 42 Euro für drei Kilo Zeugs, das kaum so viel wert ist, wie der Preis fürs Porto. Wenn ich auf zwei Kilo reduziere, sagt der Mann, kostet es nur 20 Euro.

Ich mache eine Drehbewegung mit dem Finger vor der Stirn und sage, da muss ich nochmal nachdenken, pensar, sie wissen, und er lächelt und ich schnalle das ganze unnütze Zeug samt Karton auf den Gepäckträger und radele weiter Richtung Villena auf der recht stark befahrenen Straße CV 81. Es gibt zwar auch eine Wanderwegalternative, aber die ist teilweise so holprig, dass es mir den Tag vermiesen würde, da entlang zu ächzen. Zudem fällt die Straße gut zehn Kilometer weit so stark, dass ich mit dreißig Sachen dahin brause. Alles in allem erträglich. Diese fiesen, unsichtbaren Steigungen! In dem total flach erscheinenden Land, das von runden Bergen weit in der Ferne umringt ist, merkt man gar nicht, dass man sich eigentlich auf einer schiefen Ebene befindet. Ich erinnere mich, dass ich einmal auf der Südseite der Pyrenäen beinahe verzweifelt wäre, als ich solch eine unsichtbare Steigung kilometerweit hinaufkurbelte*. Dein Hirn sagt, es ist doch topfeben hier; wegen des Mangels an Anhaltspunkten, kann es die Steigung nicht erkennen.

Nur diese schnurgerade Linie und ich.

Die CV 81 führt weiter bis Yecla, schon überquere ich die Grenze zur Region Murcia. Rechts und links der Straße sind Gewerbegebiete ausgewiesen. Durstiges, von kümmerlichem Gras bewachsenes Land, in dem Schilder stehen, zu verkaufen, 18.000 Quadratmeter für 84.000 Euro, voll erschlossen mit Wasser und Stromanschluss, oder manchmal steht auf den riesigen Tafeln nur eine Quadratmeterzahl und eine Telefonnummer. Je näher ich Yecla komme, desto mehr sind die Grundstücke bebaut. Riesige, zig Meter lange Lagerhallen oder Gewebekomplexe, Glaspaläste, teils zerfallen, teils nicht fertig gebaut, meist zu verkaufen und nach ein paar Kilometern beginnt dann offenbar so eine Art Möbelstrich. Ein Möbellager am anderen, hier die Sofas, da die Betten, dort die Küchen usw., je näher an Yecla, desto ’sofa‘, stelle ich fest. Wer zur Hölle braucht so viele Möbel, frage ich mich. Niemand. Niemand mehr, denn an den meisten dieser Hallen hängen Schilder, dass sie zu verkaufen sind, dass sie neueröffnet werden oder wurden, Liquidatión steht in vielen der riesigen einstigen Schaufenster, jeder Buchstabe auf ein einzelnes Blatt Papier gedruckt und mit Tesafilm von innen festgeklebt. Schon in Villena sind mir einzelne Liquidationsschilder aufgefallen, aber hier? Die Sierra de la Liquidatión ist das wohl.

Am Ortsrand von Yecla steht ein überdimensionales Denkmal für die Möbelbauer aus dem Jahr 2004 oder 2001, ich erinnere mich nicht genau an das Datum, das auf der Tafel am Sockel stand.

Die Stadt ist mir unheimlich. Sie wirkt wie ein abgenagter Knochen, an dem einmal viel Fleisch war. Mir graut davor, die dreißig Kilometer ins Outback westlich der Stadt zu radeln, denn auf das Zelten in einem ehemaligen Industriegelände habe ich gar keine Lust. Einen Campingplatz gibt es nicht. Die Stadt selbst, ich könnte ein Zimmer nehmen, fühlt sich nicht gut an. Gegen 18 Uhr schufte ich mich hinaus Richtung (irgendwas mit Á und der Name wird im GPS nicht angezeigt, später recherchieren. Fuente Álamo → done); das seien 25 Kilometer, sagt mir ein Tankwärter am Ortsrand. Das Sträßchen ist kaum befahren. Es gibt sogar einen Radweg hinaus aus der Stadt, der bis zum streng umzäunten Tennisclub führt. Danach: kaum befahrene schiefe Ebene, Landwirtschaft, Wein und Oliven. Einzelne Gehöfte. Ein Hotel außerhalb, aber da habe ich längst ein Wäldchen angepeilt und ächze mit 10 bis 15 km/h die schiefe Ebene hinauf bei wunderbarstem Sonnenschein. Alles passt. Beim Wäldchen finde ich einen Lagerplatz unter Kiefern, halbwegs windgeschützt und nun sitze ich in der Morgensonne auf einem Stein und tippe diese Zeilen. Das Netz fluktuiert mit dem Wind, meist ist hier oben auf 800 Metern Höhe kein Empfang.