Tag #33 – Infos aus der Homebase

Heute gibt’s mal einen Tag in Tweets. Ausnahmsweise. Wegen der schönen Bilder und des dramatischen Status-Quo. Und wegen „und nun weiß ich auch nicht!“

Fortsetzung folgt live auf Twitter.

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Tag #32 – Infos aus der Homebase

Was für ein Tag! Pyrenäen pur. Wieder ist Irgendlink bergauf und bergab geradelt, um die verkehrsreicheren Straßen zu umgehen. Hat eben alles Vor- und Nachteile!

Fast auf 1000 m. ü. Meer baut er nun sein Zelt auf. »Der Coll de Jau wird mein Frühstückspass,« twitterte er eben.

Hoffentlich wird die Nacht nicht zu kalt da oben!

Potentielles Europennermobil?
Europennersölfie aus den Pyrenäen
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Hund, Techno oder Paradies? #Gibrantiago

Jetzt bloß keinen Kreuzschlitzschraubendreher brauchen. Und auch keinen Schlitzschrauber. Schaltungeinstellen kann ich wohl knicken, denn genau dafür bräuchte ich den Bit, der am Pass de Canes liegt. 1120 Meter hohes Ding. Wetterscheide. Prüfstein, Beinahekollaps der Schaltung. Eines der beiden kleinen Zahnräder des hinteren Schaltwerks hatte sich von seinem Lager gelöst und steckte quer, scheinbar unreparierbar. Das Radel wäre wegen so eines winzigen Defekts nur noch als Schieberad zu benutzen (was auch okay gewesen wäre, da man die knapp 15 Kilometer von Olot hinauf zum Pass sowieso nur mit fünf bis zehn Kilometern pro Stunde vorankommt). Der Nieselregen, der mich ortsausgangs Olot begleitete, hatte zum Glück nachgelassen und ich war guter Dinge, diesen ersten von drei oder vier Pässen bis hinüber ins Hinterland um Lleida schmerzlos erklimmen zu können. Bewusst habe ich nicht erforscht, wie hoch der Pass ist. Die Kenntnis von der Schwere des Hindernisses, das es zu bewältigen gilt, egal, ob dies nun ein Berg ist, oder irgendein anderes Hindernis, kann sich unter Umständen als Gegenkraft manifestieren und einem den Weg, den man ohnehin zurücklegen muss, zur Hölle machen. Fidele Passfahrerei ohne Vorankommenswunsch sozusagen.

Ich musste die Schaltung zerlegen, mitten auf der Straße, was gefahrlos möglich war, denn niemand, absolut niemand, benutzt offenbar die Straße. Über Minuten, zig Minuten kurbelte ich alleine auf der N-260a. Sie ist wohl die alte Straße, die nun fast stillgelegt ist. Zudem Ostersonntag. Irgendwo parallel gibt es eine neue, vermutlich mit Tunnel.

Schwarze Hände bis fast zum Ellbogen, als hätte ich einer öligen, mechanischen Kuh bei einer Steißgeburt geholfen. Nimmerabgehendes Fett. Beide Rädchen ausgebaut, hämmere ich das kaputte mit dem Schweizermesser wieder auf sein Edelstahllager und vertausche die beiden Räder.

Ab da lief es dann wieder, bis ich unten in Ripoll noch ein paar andere Schrauben nachziehe und dabei bemerke, dass ich den Bit habe liegen lassen.

Kaufe Brot und ein Stück Pizza in einer ostersonntagsoffenen Bäckerei, beobachte den stoßweisen Verkehr in der Hauptstraße, esse Banane, beobachte zwei Jungs, die an der Hauptverkehrsstraße Fußball spielen auf einem länglichen Fußballfeld namens Gehweg, weine dem Bit nach, überlege, wofür ich das Werkzeug im Notfall brauchen würde, komme zu dem Schluss, dass es verschmerzbar ist, schwöre mir, auf einer Parkbank in der Sonne direkt neben der Hauptstraße, direkt neben dem länglichen Fußballfeld sitzend, endlich einmal alle Schrauben am Radel nachzuziehen. Das Gerüttel im eigenen Kopf, löst das Schrauben? Weiß man da schon was drüber?

Raus aus Ripoll bei einem zentralen Kreisverkehr, der die alte N-260a mit der N-260 vereint, regeln zwei blutjunge Polizisten den Verkehr, jeder mit einer Trillerpfeife bewaffnet, und ich werde Zeuge eines eigenartigen Konzerts. Jetzt Komponist sein, jetzt die Situation beim Schopfe packen, jetzt dieses stoßweise Trillern mitschneiden, ihm den letzten Schliff geben, ein Meisterwerk schaffen mit dem Arbeitstitel Almabtrieb. Das wärs. Das würde das längste Konzert der Welt in Halberstadt alt aussehen lassen. Philip Glass könnte einpacken. Ha. Konzertale Allmachtsphantasien. Ich könnte stundenlang in diesem Kreisverkehr stehen und den Beiden zuschauen. Neben mir brummen die Diesel und von rechts pumpt es eine nichtendenwollende Autoschlange aus den Bergen. Mit Skiern auf dem Dach, mit Anhängern hintendran, auf denen solch schmutzige Motocrossmaschinen stehen und Kleinwagen und Lieferwagen voller Großfamilien und die beiden Verkehrspolizisten rudern mit den Armen und wechseln, als stünde da irgendwo ein unsichtbarer Dirigent, virtuos den Trillerrhythmus.

Ein, zwei Kilometer auf den beiden (vereinten) N-260s und schon bin ich wieder raus aus dem Getümmel, kurbele meine So-sollte-es-sein-Straße hinauf Richtung Berga, auf der wieder kaum Verkehr herrscht, und wenn, dann langsam, vorsichtig, rücksichtsvoll.

Wieder ein Pass von unklarer Höhe. Als ich bei Matamala, dem vermutlich oder hoffentlich höchsten Punkt, das GPS einschalte, zeigt es mir 974 Meter an. Und abwärts. Ziel ist Borredà, wo sich der Kreis zu meiner Reise 2010, einer meiner gescheiterten Gibraltarexpeditionen, endlich schließen soll. Aber so weit komme ich gar nicht. Ein Campingplatzschild lockt mich etwa fünf Kilometer vorher weg von der Straße. Und da ich müde bin und im ganzen Tal wegen Naturschutzes das Wildzelten verboten ist, biege ich ab und lande … naja, auf einem suboptimalen Platz voller Leben und Hunde, die mich und das Radel sofort bebellen, umringen, belechzen, einer will sogar am Radel hochklettern, aber die Leute sind so freundlich und so lasse ich mich ein unter dem Motto ‚wild geht nicht, Leute nett, buche es als Erfahrung‘, checke ein beim stoischen Besitzer, der meine Personalien in den Computer hackt, mir einen Cortado (winziger, kurzer Kaffee) bereitet und schon palavere ich am Tresen mit zwei Typen, die mir Spanien erklären, eine Karte malen, etwas von der Vuelta erzählen und ich soll doch die Küste runter radeln, durch Barcelona, schwer, ihnen klarzumachen, dass ich Ruhe brauche und das Durchradeln von Großstädten für mich Horror ist (da war diese Barcelonadurchquerung 1992, als wir auf einer fünfspurigen Autobahn auf dem Seitenstreifen nach Süden rausradelten, nein, nicht nur wir, auch etliche barcelonische Freizeitradler).

Der Camping ist zweigeteilt. Auf dem oberen, ziemlich belegten Platz herrscht reger Betrieb. Es gibt nur zwei Zeltplatzmöglichkeiten. Entweder neben dem Waschhaus, direkt unter einer Hütte, aus der Technomusik dröhnt, oder beim Spielplatz vor der Rezeption, in der es heiß hergeht und vor der die Hunde herumstreunen.

Hund oder Techno?

Der untere Platzteil scheint geschlossen. Schon will ich vorm Technohaus die Heringe in den Boden treiben, da sehe ich, dass sich unten, im Paradies beim Bach, doch etwas tut. Also nix wie hin.

Puh. Das ging gerade nochmal gut.

Das Zelt steht nun abseits des Getümmels und ich habe eine neue Faustformel für mich gefunden, die da lautet: soweit weg wie möglich von den Menschen (und ihren Hunden).

Tag #31 – Infos aus der Homebase

Als Irgendlink vor bald sechs Jahren von Zweibrücken aus Richtung Gibraltar geradelt ist und dabei den Spuren seiner Reise aus dem Jahre 2000 folgte, ist er bis ungefähr in diese Gegend gekommen, in der er jetzt angelangt ist.

Fast bis nach Borredà ist er heute gefahren, wo wir uns damals getroffen haben. (Im gestrigen Info-Artikel-Kommentarstrang finden Interessierte die Links zur damaligen Reise.)

Heute? Nach einer kleinen Stadtbesichtigung in Olot ist Irgendlink gegen Mittag ‚gemütlich‘ Richtung Westen geradelt. Berghoch (Coll de Canes, 1120m ü. M.). Bergrunter durch Ripoll und immer weiter Richtung Borredà.

Santa Maria de Matamala
  
Kuhherdenpanorama
 
Auf dem Camping Saiol baut Irgendlink nun sein Zelt auf.

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Spanien lernen #Gibrantiago

Diese Geräusche, woher die wohl kommen? Eine kurze Schiebepassge einen unheimlich steilen Stich hinauf auf der Via Verde del Carrilet, ausnahmsweise betoniert, legt dieses Geräusch frei. In rhythmischen Abständen kracht etwas, das ich zwischen Ende hinteres Schutzblech und Tretlager orte. Die Bremse würde wohl eher der Unwucht des Rades folgen und Fffft fffft machen, aber das hier? Krtzzz krtzzz.

Es ist heiß. Ich ignoriere das Geräusch und als ich kurze Zeit später auf dem grobkörnigen Sandweg radele, ist es auch schon wieder verschwunden. Übertönt vom Mahlen des Gummis auf der stetig mit etwa vier Prozent ansteigenden alten Bahntrasse. Das sind doch vier Prozent, oder? Vielleicht sogar fünf oder sechs? Wie steil haben die denn früher ihre Bahntrassen gebaut? Die anderen Radler kommen mir jedenfalls mit einem Affenzahn entgegen und ich schaffe es kaum über 12 km/h zu kommen. Oft führt der Weg durch zehn, zwanzig Meter hohe in den Fels gehauene Schluchten, rechts und links senkrecht durchfräster Basalt, dann wieder über Dämme, Brücken, unter Brücken hindurch, an denen sogar manchmal noch der Ruß zu sehen ist, den die Dampfloks hinterlassen haben. Sogar einen kleinen Tunnel gibt es kurz vor dem Coll de Bas, dem 580 Meter hohen Pass, den man erklimmen muss, um hinüber nach Olot zu kommen.

Spaniens Radwege sind schon speziell, wenn man mit der Vorstellung eines Deutschen von Fernradwegen an sie herangeht. Schon an der Grenze bei Le Perthus hätte mir klar sein können, dass der Wanderpfad, der von Regenerosion zersetzt ist und genau der Route folgt, die das GPS empfiehlt, der Radweg Eurovelo 8 ist – ich bin natürlich dem Teerweg nach Le Perthus gefolgt, ins Grenzstädtchen, und stand erst einmal in einem Autostau. Kein Durchkommen zwischen Gehwegkante und den Autos, weshalb ich es vorzog, bis zur Grenze zu schieben. Am Karfreitag waren die Lederwaren, Tabak- und sonstigen Läden in der Hauptdurchgangsstraße alle offen, Supermärkte, Polizisten, Dieselrußgestank, jenseits der Grenze Nutten, Sexshops, Tankstellen, Weingroßhandlungen und noch mehr Tabakläden – auf veritablem Gefälle rauschte ich auf dem Standstreifen der Nationalstraße an all dem vorbei und traf kurz vor La Jonquera auf den Track des Eurovelo. Ein Schotterweg, irgendwie fahrbar. Sogar Radwegeschilder gibt es. Pirinexus, so heißt der Radweg hier, daneben das Eurovelo-Logo. Hier bin ich richtig . Für etwa 500 Meter. Dann quert der Radweg auf einem Singletrail einen Bach. Unter drei Betonbrücken für Landtraße, Bahnlinie und Autobahn. Nein, es gibt keine Radlerbrücke. Höhnisch weist ein Schild den Radweg durch die Furt aus, die jemand mit dem Quad durchquert hat, so sagt es die Spurenlage.

Ich habe mir zum Glück kein Bild gemacht von spanischen Radwegen. Hatte allenfalls erwartet, dass sie über Landstraßen führen.

Ich muss das Land erst lernen. Seine Ladenöffnungszeiten, seine Grußformeln, seine Radwegelogik. Genug Zeit habe ich ja. (Und überhaupt, Spanien? Aus allen Fenstern hängt die katalanische Flagge und in zahlreichen Graffitis fordert man Autonomie).

Bis zur Küste bei L’Escala folgte ich den Schildern des Pirinexus, die deckungsgleich mit dem GPS-Track meist über Feldwege leiten. Kurz hinter La Jonquera hätte ich beinahe aufgegeben, wäre auf die Nationalstraße zurück, aber das Schieben, gut einen Kilometer hinauf ins Hinterland, hat sich gelohnt. Kurz vor dem Dorf Capmany tat sich eine nigelnagelneue Teerpiste auf, die durch eine wunderbare Art Endmoränengegend (oder wohl eher Vulkan-) führt mit riesigen Felsbrocken zwischen Olivenhainen. Und diese Farben, rotbraungrünolivblaugelb, herrlich. So könnte der Pirinexus also einmal werden, wenn man genug Geld dafür bereitstellen würde. Tapfere spanische Radler, sogar mit Gepäck, kamen mir entgegen. Das gibt mir stets das Gefühl, nicht ganz alleine zu sein, auf dem richtigen Weg zu sein. Offenbar kennen sie gar nichts anderes und nehmen die Wege einfach so hin.

Immerhin, die etwa zehn Kilometer Radwegeausbau geben Hoffnung.

Das vorgestrige Zeltlager nahe L’Escala. Neben einer wilden Mülldeponie in einem Pappelhain. Da ich vermutete, dass früh die Jäger auftauchen, stehe ich mit der Dämmerung auf und beschließe, nicht den Bogen über San Feliu zu machen, sondern samstagsfrüh direkt über Landstraßen nach Girona zu radeln und erst dort wieder in die Via Verde del Carrilet einzusteigen.

Die Via Verde ist ein bisschen besser ausgebaut und recht stark befahren. Mountainbiker rasen einem mit einem Affenzahn entgegen. Dazu Spaziergänger oder Menschen, die einfach nur am Wegrand stehen und starren.

Das erste Stück raus aus Girona ist etwas mühsam. Es führt durch Kleingärten. Auf der zweimeterfünfzig-breiten Piste stauen sich einander entgegenkommende Autos. Irgendwie mogele ich mich durch.

Ab Amet entwickelt sich die Carrilet zu einem waschechten Bahntrassenradweg.

Das Krachen am Rad habe ich noch immer nicht lokalisiert. Ich weiß auch nicht, ob ich es so genau wissen will. Am heutigen Ostersonntag kann mir sowieso niemand helfen. Ein weiteres Wehwehchen, das ich selbst verschuldet habe, war die gestrige Lagerplatzsuche. Was habe ich mir über die Jahre immer eingebläut, fahre nicht bei Dämmerung in eine größere Ansiedlung und trotzdem stehe ich plötzlich am Stadtrand von Olot. Der Camping Natura von Les Preses war dem feinen Herrn ja nicht gut genug. Die Felder in der weiten Ebene schienen ihm ja zu gut einsehbar, zu sandig, zu sehr mit Weizen bebaut, zu eingezäunt, zu privatbesessen, kurzum zu illegal und der Lavapark zwischen Les Preses und Olot, der die ein oder andere gute Zeltmöglichkeit geboten hätte, wer weiß, wer sich da nachts rumtreibt.

Zugegeben, auf dem Camping Natura wäre ich nicht glücklich geworden. Dicht an dicht standen Wohnwägen und etliche Hunde verbellten sich in verzweifelter Reviermarkiererei gegenseitig. Der Stress der Tiere hätte sich die ganze Nacht auf mich übertragen und wer weiß, ob überhaupt ein Plätzchen frei gewesen wäre. Ich peile einen Camping vier Kilometer außerhalb von Olot an und verlasse in der Dunkelheit die Stadt. Steil bergauf. Erster bis dritter Gang. Massiver Verkehr, Warnweste, Rücklicht, Schwitzen, Sternenhimmel. Am Ortsrand meine ich, nicht mehr zu können. Das Monster, nachts berghoch auf dieser Straße, zwei Kilometer weit und womöglich vor verschlossener Tür zu stehen, krallt sich in meine Schädeldecke. Ich schaffe mich rüber auf eine Wiese, die gut zeltbar wäre, aber sogleich schlagen die Hunde in der Nachbarschaft an. Wenn man zwischen den Hundegebellen Linien zieht, kann man auf den Meter genau das Europennerlager ausmachen.

Schon überlege ich, zurückzufahren zum Hotel Fluvia, das ich passiert habe. Da kommt mir in den Sinn, auf dem GPS Satellitenbilder einzublenden, um herauszufinden, ob hier etwas zeltbares ist. Tatsächlich, gleich um die Kurve, erster Weg links, Wiese, Waldstück, kein Farmhaus sichtbar, also auch keine Hunde.

Ich ächze weiter. Die Kurve ist da, aber ich kann den Weg nicht finden. ächze weiter berghoch, da, ein Schild. Der Camping. Nur einen Kilometer entfernt. Das schaffe ich.

Und Uff. Endlich da. Camping offen, Rezeption zu. Eine späte Pfadfindergrupe mit 21 Kilometern in den Beinen gesellt sich zu mir. Und sie machen einen Wachmann ausfindig. Diese Engel. Und der Platzwart kommt noch einmal aus dem Feierabend, registriert uns alle.

Gebeutelt, erschöpft, wie Lemminge, verkriechen wir uns in einem kleinen Wäldchen und bauen im Schein der Stirnlampen die Zelte auf.

Tag #30 – Infos aus der Homebase

»Mein Plan heute: von L’Escala nach Girona über Landstraße und ab dort die Via Verde nach Olot radeln. Barcelona umradeln via Lleida.« So twitterte Irgendlink heute Morgen.

Aus Girona erhalte ich schon am späten Vormittag eine SMS. Samstagmorgenschön sei es. Vermutlich meint er die Welt, die Strecke, das Leben. Mich freut’s. Und vom samstagmorgendlichen Jagen, oft üblich in Spanien, sei jedenfalls nichts zu hören gewesen.

»Wenn man einen Radler in einen Topf heißen Verkehrs wirft, springt er sofort raus. Wenn man ihn aber im Topf langsam erhitzt …«, so sinniert er später auf Twitter und erinnert uns an das Froschexperiment, das besagt, dass der Frosch, wenn sein Umgebungswasser ganz langsam erhitzt wird, nicht flüchtet, sondern stirbt.

Wir hoffen sehr, dass unser Radler immer und rechtzeitig vor jeglicher Hitze und Gefahr ausweichen kann.

Treffpunkt der Gegensaetze
Sant Julià de Ramis, España | Toll, ein Ort, an dem sich Wanderer, Radler, Panzerfaustschützen und Yogis treffen. #Gibrantiago

Bei Olot will er auf einen Campingplatz, um sein heutiges Nachtlager aufzubauen, aber die Steigung – mit über neunzig Tageskilometern in den Beinen – hält ihn dann doch zurück.
»Soll ich ins Hotel Fluvia?«, fragt er per SMS und ich schreibe: »Ja, mach das!« Und jetzt weiß ich auch nicht …

EDIT: 20:37. Irgendlink smst, dass er nun doch auf dem Camping sein, La Fageda. Drum korrigiere ich die Tracks.

Zum heutigen Track bitte hier ⇒ klicken. (Wegen Netz-Unterbrüchen kann die angezeigte Totallänge vom real gefahrenen Wert abweichen.). | EDIT: Track.

Zur klassichen Version der heutigen, ungefähren Etappe bitte hier ⇒ klicken. | EDIT: Guugle-Track.

Tag #29 – Infos aus der Homebase

Spanien besticht Irgendlink mit seinen wunderbar ausgeschilderten Radwegen, die aber in Wirklichkeit gar keine Radwege sind, bestensfalls Huckelpisten. Die unvermeidbare Langsamkeit hat was. Motive, die bei schnellem Radeln nicht sichtbar gewesen wären, stellen sich ihm nun einfach in den Weg.

Bereits ist Irgendlink in der Nähe der Ruinen von Empuries, wo wir vor vielen Jahren mal waren. Zum Streetview-Link geht’s hier lang. (Geht wohl nicht auf Handys.)

Das Zelt hat er etwas abseits des Ortes aufgebaut.

Sant Nazari de las Olives
Grinsetor in l’Armentera
Eine Sackgasse in Peralada …
… und ganz hinten rechts die zugemauerte Tür

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Unheimliche Gedankengebäude, die es gilt, einzureißen #Gibrantiago

Herzklopfen. Unruhe. Im Kopf rattert die Gedankenmühle, was soll ich bloß tun? Noch einen Tag hierbleiben, hoffen, dass es besser wird mit dem Wind, oder weiterradeln, vielleicht einen Bahnhof finden, einen Zug, der in Windeseile durch einen Tunnel in Spanien ist?

Die Wetter-App, auf der ich mir die Windstärken angeschaut habe, sagt für die Gegend um Perpignan sturmähnliche Bedingungen voraus, 69 km/h gar in Argelès, wo der Eurovelo 8 gen Westen abbiegt und somit ekelhaftes Seitenwindwetter herrschen würde. Böen, die einen um Meter versetzen.

Vor dem Stück Landstraße, dem ich ab Fitou bis etwa Rivesaltes folgen muss, graut mir am meisten. LKW und Autokolonnen, von denen sicher nicht jeder Fahrer im Bilde ist, wie es um Radler bei Windböen steht. Zudem man das mit dem Sicherheitsabstand auch nicht so eng sieht.

Noch sitze ich in dem schönen warmen, weichen Bett im roten Appartement von @fimidi, strahlender Sonnenschein, der selbst die abgewetzten Wanderschuhe vor der Tür schön aussehen lässt. Im Kokon. Sicher. Aber in meinem Kopf hat sich längst eine Vision für den Tag gebildet. Da drinnen im Grauen Prozessor denkt sich irgendwas die Strecke voran, Kilometer um Kilometer zunächst mit Rückenwind südöstlich auf’s Meer zu, dann auf der roten Linie, die im GPS angezeigt wird und die den Mittelmeerrradweg, den Eurovelo 8, markiert weiter, hoffentlich auf eigenen Fahrradstrecken … ach ne, das kannste hier im Süden vergessen, mischt sich eine Skeptikerstimme ein, bestenfalls Feldwege, bestenfalls leicht befahrene Landstraßen, bleib doch noch ’nen Tag, aber da mahnt schon eine andere Stimme, willste hier versauern, warten bis der nächste Regen kommt, der Tramuntana bleibt drei Wochen, so will es das Gesetz.

Ich bin an diesem Morgen in einem Zustand des nichtradelnden Radlens für ein, zwei Stunden. Beide Entscheidungen sind möglich, beide sind richtig, aber was wichtig ist, in diesem Moment, das wird mir erst später klar, ist die Diskrepanz zwischen der Welt, wie ich sie mir im Kopf zurechthübsche (oder im Fall besser gesagt zurechthässliche) und dem Unbekannten, was mich auf den vierzig Kilometern bis Argelès und den weiteren zwanzig, dreißig Kilometern bis zur spanischen Grenze, bis zum Pyrenäenpass bei Le Boulou erwartet.

Im Nachhinein muss ich sagen, ich hatte ja keine Ahnung und die Wetter-App lügt wie gedruckt.

Raus aus Fitou. Zunächst zwei Kilometer Weinbergswege, dann die gefürchtete Departementsstraße, wo auch schon gleich beim Auffahren eine Kolonne LKW mit Rattenschwanz an Autos vorbeizischt. Aber: es gibt einen Seitenstreifen, auf dem sich prima radeln lässt. Sicherheitsabstand per Naturgesetz sozusagen. Und: Der Tramuntana ist bei weitem nicht so stark, wie am Tag davor. Zudem hält die parallel laufende Autobahn auf ihrem hohen Damm und die Hügel im Westen ein Gutteil des Windes ab. Leichtes Radeln bis Salses und ab dort folge ich ruhigen Landstraßen bis Canet zum Euroveloradweg. Mit Rückenwind. Dann folgt Gegendarstellungnummer zwei – wie ein strenger Lehrer Lempel hebt sich eine Stimme, ein Zeigefinger in mir, ein winziges, züchtigendes Stöckchen, das mich oberschullehrerhaft belehrt, traue nie deiner eigenen Vorstellung, mach dir kein Bild von dem, was dich womöglich erwartet, mach dir überhaupt kein Bild, es verängstigt dich doch nur, und falls du dir mal ein positives Bild machst und die Realität davon abweicht, wirst du enttäuscht. Ab Canet, wieder auf dem Eurovelo 8-Track angelangt, führt die Strecke durch eine Art Obstgarten mit mannigfach blühenden Bäumchen, Schilf, Weinbergen, fast durchweg auf Radwegen; ab Argelès ist der Eurovelo 8 parallel zur Hauptstraße auf eigener Trasse geführt mit perfekter Beschilderung. Es sind genau vierzig Kilometer bis nach La Jonquera, der ersten Stadt in Spanien. Der angekündigte 69 km/h-schnelle Wind ist ein laues Lüftchen. Ich radele auf den Canigou zu, ein fast 3000 Meter hohes, schneebedecktes Massiv, aber mit moderater Steigung in der Ebene des Flüsschens Tech.

Abends im Zelt muss ich mir eingestehen, dass ich frühmorgens im Bett ein völlig falsches Bild von der Realität gebaut hatte, bestehend aus falschen Informationen und garniert mit Unwissen und hanebüchenen Vermutungen, was mir unnötigerweise die Kraft aus den Knochen gesaugt hat.

Und nun, da ich dies schreibe, auf glücklichen Wegen durch ganz Frankreich bis fast zur spanischen Grenze geradelt, finde ich noch einige unheimliche Gedankengebäude vor, die es gilt einzureißen. Etwa die 600 Kilometer von Alicante bis Gibraltar, die auf massiv befahrenen Hauptstraßen durch meinen Kopf führen, oder der Dauerregen in Ripoll, in den Pyrenäen, der mich ab übermorgen – rein gedanklich – erwartet, Nebel und Schnee und ab und zu ein Gipslaster, der Saint Laurent ansteuert, um Rigips für deutsche Trockenbauten abzuholen. All die Gespenster im eigenen Kopf, die man sich alltäglich selbst zusammendenkt aufgrund falscher Fakten und Ängste: könnte man sie nur ein für alle Mal bannen, man könnte glückneugierig durchs Leben wandeln.

Tag #28 – Infos aus der Homebase

Wieder einmal wollte ein Kopf etwas Gruseliges erschaffen. Die Wirklichkeit hat es zum Glück widerlegt: Der Wind war heute nämlich nicht gar soo schlimm wie Irgendlink gedacht und befürchtet hatte.

Vor zwei Stunden hat Irgendlink von Le Boulou aus angerufen. In Erwartung eines Netz- und Funkloches in den Bergen hat mir auch gleich zwei Bilder gemailt.

Auf der Eurovelo 8 ist er nun unterwegs → Link mit Infos.

Inzwischen hat er in den Bergen ein schönes Plätzchen gefunden. Schon fast an der Grenze zu Spanien.

Foto 1g
Planet Halteverbot in Saint-Cyprien
Foto 2gs
Selfie als Affe auf Trafohäuschen in Le Boulou
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Reset

Wenn dies eine Mount Everest-Expedition wäre, wäre ich nun wohl im zweiten Basislager (wieviele Basislager gibt es am Mount Everest überhaupt?) angelangt. Das letzte Basislager vor dem finalen Anstieg.

Fitou, Weindorf in der Nähe von Perpignan, sonnen- und windverwöhnt, das nach starkem Regen und ein paar Tagen Wind immer aussieht wie mit dem Kärcher gesäubert, sagt mein Freund Hagen.

Die dreißig Kilometer von meinem Felsen, hinter dem gestern das Zelt leidlich vorm Tramuntana geschützt stand bis nach Fitou zu @fimidi @hagengraf, waren geprägt vom bis knapp hundert Kilometer schnell tosenden Tramuntanawind. Aus Nordwesten kommend kann er bis zu drei Wochen anhalten, erklärte mir ein dickbäuchiger Seemann mit SOLCHEN Oberarmen in Port-La-Nouvelle. Zum Glück muss ich nicht nach Nordwesten. Dennoch ist es schwierig, das Europennerradel im Wind zu navigieren. Meist habe ich Seitenwind, dessen Böen mich hin und her werfen, das Fahrrad steht dann schräg im Wind. Die Böen kommen unvermutet. Wenn man Glück hat, kündigen sie sich durch ein Grummeln in den Pinien an. Einmal drückt es mich eine Böschung hinauf am Kanalradweg und es ist ein Glück, dass der Kanal rechts von mir, auf der windzugewandten Seite liegt. Ein andermal, kurz hinter Port-La-Nouvelle, droht der Tramuntana, mich eine zwei Meter tiefe Böschung hinabzudrücken. Unvergessen bleibt mir jener Moment, in dem er einige Kilometer weit direkt von hinten kommt und ich ohne zu treten mit dreißig Sachen nur so dahinsegele.

Gegen Mittag treffe ich bei Hagen und Christine ein. Lecker Pudding, dampfend warm, Kaffee, absacken, das schöne, rote Appartement beziehen, das Frau Soso und ich im letzten Winter gemietet hatten, ach und dann auch die Wehmut und die Erinnerungen an damals, und nun bin ich aber alleine hier in der Bude mit dem bequemen, frisch bezogenen, großen Bett.

Wie so ein Reset der Reise wirkt das. Ich weiß nicht, ob mir das gut tut. (Klar tun Erholung und Dach überm Kopf gut, aber die Wehmut …).

Nun sitze ich hier auf dem Bett und schreibe diese Zeilen, draußen tost noch immer der Wind und fast kommt es mir vor wie eine kleine Falle der Glückseligkeit, eine unheimliche Schwerkraft des Geborgenseins, die mir die Abreise schwer macht, ich schon liebäugele, einen Tag länger zu bleiben und mit der Angst ringe, dass mit jeder Minute, die ich in diesem Kokon verbringe, das Weiterfahren noch schwerer wird. Denn der Wind wird mich noch bis mindestens Argelès-sur-Mer, etwa vierzig, fünfzig Kilometer südlich hin- und herschütteln. Es sei ein Wetterphänomen, das aus der Kälte der Pyrenäen im Kontrast zur Hitze des Flachlands geboren wird und dann entstehen dermaßen große Luftdruckunterschiede, dass es tage- und nächtelang so weitergeht.

Anyway. In einer Stunde werde ich wieder im Sattel schaukeln, muss mir nur noch überlegen, wie ich zurück auf die Radlerroute komme, denn Landstraße fahren bei diesem Sturm behagt mir gar nicht.

Vorhin habe ich noch einen unreifen Blogartikel privat ins Blog geladen, den ich gedenke, für das E-Book, das aus dem Blog entstehen wird, noch auszuarbeiten.

Die Gratwanderung zwischen Blog und Buch ist nicht sehr einfach. Oft reicht die Zeit nicht, einen Artikel zu schreiben, bzw. den Anspruch an die Qualität zu erfüllen. Diese stets galoppierende Gegenwart.

Manchmal liegen auch noch nicht alle Puzzlestücke für einen Artikel vor.